Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kampf mit dem Dämon

Der Kampf mit dem Dämon

Titel: Der Kampf mit dem Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
Vom Netzwerk:
Tragödie aus dem Geist der Musik« vermeinte er darzustellen und erlebt die Umkehr: die Geburt der Musik aus dem Geist der Tragödie. Die Übermächtigkeit der neuen Gefühle findet ihren Ausdruck nicht mehr in der gemessenen Rede, sie drängt nach stärkerem Element, nach höherer Magie: »Du wirst singen müssen, o du meine Seele.«
    Gerade weil diese unterste, die dämonische Quelle seines Wesens so lange verschüttet war mit Philologie, Gelehrsamkeit und Gleichgültigkeit, schießt sie so gewaltsam auf und preßt ihren flüssigen Strahl mit solcher Druckkraft bis in die letzten Nervenfasern, in die letzte Intonation seines Stils. Wie nach einer Infiltration neuer Vitalität beginnt die Sprache, die bis dahin nur darstellen wollte, mit einemmal musikalisch zu atmen: das vortragshafte Andante maestoso, der schwere Sprechstil seiner früheren Schriften, hat jetzt das »Undulatorische«, die vielfache Bewegung der Musik. Alle kleinen Raffinements eines Virtuosen funkeln darin auf, die kleinen spitzen Staccati der Aphorismen, das lyrische Sordino in den Gesängen, die Pizzicati des Spottes, die kühnen Verschleifungen und Harmonisationen von Prosa, Spruch und Gedicht. Selbst die Interpunktionen, das Ungesprochene der Sprache, die Gedankenstriche, die Unterstreichungen haben absolut die Wirkung von musikalischen Vortragszeichen: nie hat man so sehr in der deutschen Sprache das Gefühl einer instrumentierten Prosa gehabt. Ihre nie vordem erreichte Polyphonie bis ins einzelnedurchzufühlen, bedeutet für einen Sprachartisten gleiche Wollust wie für einen Musiker das Studium einer Meisterpartitur: wieviel versteckte und verkapselte Harmonie hinter den überspitzten Dissonanzen, wieviel klarer Formgeist in der erst rauschhaften Fülle! Denn nicht nur die Nervenenden der Sprache vibrieren von Musikalität: auch die Werke selbst sind symphonisch empfunden, sie entstammen nicht mehr geistig planender, kalt gedanklicher Architektur, sondern unmittelbar musikalischer Inspiration. Vom »Zarathustra« hat er selbst gesagt, daß er »im Geiste des ersten Satzes der neunten Symphonie« geschrieben sei; und das sprachlich einzige, wahrhaft göttliche Vorspiel zum »Ecce homo« – sind diese monumentalen Sätze nicht ein Orgelpräludium, für einen ungeheuren zukünftigen Dom gedacht? Gedichte wie das »Nachtlied«, das »Gondellied«, sind sie nicht Urgesang der Menschenstimme aus einer unendlichen Einsamkeit? Und wann war der Rausch so tanzhaft, so sehr heroische, so sehr griechische Musik geworden, als im Päan seines letzten Jubels, in dem Dithyrambus des Dionysos? Von oben durchstrahlt von aller Klarheit des Südens, von unten durchwühlt von strömender Musik, wird hier Sprache wahrhaft zur niemals ruhenden Welle, und in diesem meerhaft großartigen Element kreist nun Nietzsches Geist bis zum Wirbel des Untergangs.
    Wie nun die Musik so stürmisch und gewaltsam in ihn einbricht, erkennt Nietzsche, der dämonisch Wissende, sofort ihre Gefahr: er fühlt, daß dieser Strom ihn über sich selbst hinausreißen könnte. Aber indes Goethe seinen Gefahren ausweicht – »Goethes vorsichtige Haltung zur Musik«, notiert Nietzsche einmal –, faßt sie Nietzsche immer an den Hörnern; Umwertungen, Umwendungen sind seine Art der Verteidigung. Und so macht er (wie bei seiner Krankheit) aus dem Gift eine Arznei. Musik muß ihm jetzt ein anderes sein als in seinen philologischen Jahren: damals verlangte er erhöhte Spannungen der Nerven, Aufschwülung des Gefühls (Wagner!), ein Gegengewicht gegen seine gelassene, gelehrte Existenz. Jetzt aber, da sein Denken selbst schon Exzeß ist und ekstatische Gefühlsverschwendung, bedarf er der Musik als einer Art seelischen Broms, einer innern Zurückberuhigung. Nicht mehr Trunkenheit soll sie ihm geben (alles Geistige wird ihm ja jetzt klingender Rausch), sondern nach Hölderlins herrlichem Wort die »heilige Nüchternheit«: »Musik als Erholung , nichtals Aufregungsmittel.« Er will eine Musik, in die er flüchten kann, wenn er todwund und müde vom Weidwerk seiner Gedanken taumelt, ein Refugium, ein Bad, kristallene Flut, die kühlt und läutert – Musica divina, eine Musik von oben her, Musik aus klaren Himmeln und nicht aus gepreßter, schwüler, brünstiger Seele. Eine Musik, die ihn sich vergessen läßt, nicht eine, die ihn wieder in sich zurücktreibt, eine »jasagende, jatuende« Musik, eine Südmusik, wasserklar in ihren Harmonien, ureinfach und rein, eine Musik, »die sich pfeifen

Weitere Kostenlose Bücher