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Der Kampf mit dem Dämon

Der Kampf mit dem Dämon

Titel: Der Kampf mit dem Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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geduldiges, vornehmes Gehaben: »das lange Schweigen hat meinen Stolz exasperiert« – er will, er fordert jetzt Antwort um jeden Preis. Er hetzt den Druck mit Briefen und Telegrammen, nur rasch, nur rasch muß gedruckt werden, als gelte es etwas zu versäumen. Er wartet nicht mehr, seinem Plan gemäß, bis der »Wille zur Macht«, sein Hauptwerk, vollendet ist, sondern reißt ungeduldig Teile davon los und schleudert sie wie Brandfackeln in die Zeit hinein. Der »halkyonische Ton« ist verloschen, ein Stöhnen ist in diesen letzten Werken von verpreßtem Leiden, von maßlosem höhnischem Zorn: sie sind mit der Peitsche der Ungeduld aus ihm herausgehetzt. Der Gleichgültige beginnt, in seinem Stolz »exasperiert«, die Zeit zu provozieren, damit sie endlich mit einem Wutschrei gegen ihn reagiere. Und um sie noch mehr herauszufordern, erzählt er im »Ecce homo« sein Leben, »mit einem Zynismus, der welthistorisch werden wird«. Nie sind Bücher aus einer solchen Gier, aus einem so kranken zuckenden Fieber der Ungeduld nach Antwort geschrieben worden wie die letzten monumentalen Pamphlete Nietzsches. Eine entsetzliche Angst, nicht mehr den Erfolg zu überleben, eine dämonische Ungeduld ist in diesem Lechzen nach Antwort. Und man spürt, wie er nach jedem Geißelschlag eine Sekunde innehält, wie er sich aus sich selber in entsetzlicher Spannung herausbeugt, um den Schrei der Getroffenen zu hören. Aber nichts rührt sich. Keine Antwort kommt mehr herauf in die »azurne« Einsamkeit. Wie ein eiserner Ring liegt das Schweigen um seine Kehle, von keinem Schrei, nicht von dem furchtbarsten, den die Menschheit gekannt, mehr zu zerbrechen. Und er fühlt: kein Gott erlöst ihn mehr aus dem Kerker der letzten Einsamkeit.
    Da packt den Verschmachtenden in seinen letzten Stunden apokalyptischer Zorn. Wie der geblendete Polyphem schleudert er brüllend mit Felsblöcken um sich, ohne zu sehen, ob sie treffen; und weil er niemanden hat, mit ihm zu leiden, mit ihm zu fühlen, so faßt er sich selbst an sein eigenes zuckendes Herz. Alle Götter hat er ermordet, so macht er sich selber zum Gott – »müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um solcher Tat würdig zu erscheinen?« – Alle Altäre hat er zerschlagen, so baut er sich selber seinen Altar, den »Ecce homo«, um sich zufeiern, den niemand feiert; sich zu rühmen, den niemand rühmt. Die wuchtigsten Steine der Sprache türmt er auf, es hallen Hammerschläge, wie sie nie in diesem Jahrhundert mit gleicher Wucht gedröhnt; begeistert beginnt er sein Sterbelied der Trunkenheit und des Überschwangs, den Päan seiner Taten und Siege. Dunkel hebt er an, und großes Brausen wie von kommendem Gewitter ist darin, dann zuckt Gelächter nieder, ein grelles, böses, irres Gelächter, eine Desperado-Heiterkeit, die einem die Seele zersägt: Ecce-homo-Gesang. Aber immer sprunghafter wird das Lied, immer schneidender schrillt das Gelächter in die schweigenden Gletscher hinein, in Selbstverzückung hebt er die Hände, dithyrambisch zuckt ihm der Fuß: und plötzlich beginnt der Tanz, jener Tanz über dem Abgrund, dem Abgrund seines eigenen Unterganges.
    Der Tanz über dem Abgrund
    Wenn du lange in einen Abgrund
blickst, blickt auch der Abgrund in
dich hinein.
    Die fünf Monate des Herbstes 1888, Nietzsches letzte bildnerische Zeit, stehen einzig da in den Annalen schöpferischer Produktivität. Vielleicht ist nie in einem so engen Zeitraum von einem einzigen Genius so viel, so intensiv, so ununterbrochen, so hyperbolisch und radikal gedacht worden; nie war ein irdisches Gehirn so überströmt von Ideen, so durchschossen von Bildern, so umwogt von Musik als dies schon vom Schicksal gezeichnete. Für diese Fülle, für diese rauschhaft niederstürzende Ekstase, für diesen fanatischen Furor des Schaffens hat die Geistesgeschichte aller Zeiten kein Gegenspiel in ihrer unendlichen Weise – nur im Nächsten vielleicht noch, im gleichen Jahr, unter gleichem Himmelsstrich erlebt ein Maler gleich aufgepeitschte, schon in den Wahnsinn hineingejagte Produktivität: im Garten
    von Arles und in der Irrenanstalt malt van Gogh mit gleicher Geschwindigkeit, mit der gleichen ekstatischen Lichtbesessenheit, mit der gleichen manischen Schaffensüberfülltheit. Kaum hat er eines seiner weißglühenden Bilder vollendet, so fährt sein fehlerloserStrich schon über neue Leinwand, es gibt da kein Zögern, kein Planen mehr, kein Überlegen. Schöpfung ist Diktat geworden, dämonische Hellsichtigkeit

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