Der Kampf mit dem Dämon
und Schnellsichtigkeit, eine ununterbrochene Kontinuität der Visionen. Freunde, die van Gogh vor einer Stunde verlassen haben, staunen bei ihrer Rückkehr, von ihm schon ein neues Bild vollendet zu sehen, und schon beginnt er mit nassem Pinsel, mit erhitzten Augen, ohne abzusetzen, das dritte: der Dämon, der ihn an der Kehle hat, duldet kein Atemholen, keine Intervalle, gleichgültig, ob er, der rasende Reiter, den keuchenden und glühenden Leib unter sich zuschanden hetzt. Genauso schafft Nietzsche Werk auf Werk, pausenlos, atemlos, in der gleichen, nicht mehr wieder dagewesenen Helligkeit und Schnelligkeit. Zehn Tage, vierzehn Tage, drei Wochen: das sind die Dauer seiner letzten Werke – Zeugung, Austragung, Gebärung, Entwurf und endgültige Gestaltung, das zuckt schußartig ineinander. Es gibt da keine Inkubationsfrist, keine Ruhepausen, kein Suchen
, kein Tasten, kein Verändern und Korrigieren, alles ist gleich makellos, definitiv, unveränderlich, heiß und ausgekühlt zugleich. Nie hat ein Gehirn so dauernde Hochspannung so elektrisch weitergetragen bis ins letzte zuckende, Wort, nie haben mit so magischen Geschwindigkeiten Assoziationen sich gegliedert; Vision ist zugleich schon Wort, Idee vollendete Klarheit, und trotz dieser gigantischen Fülle spürt man nichts von Mühe, von Anstrengung – Schaffen hat längst aufgehört, ein Tun, eine Arbeit zu sein, es ist bloß ein laisser faire, ein Geschehenlassen höherer Gewalten. Der vom Geist Durchschütterte braucht nur den Blick zu heben, jenen weitsichtigen, »weitdenkenden« Blick, und er übersieht (wie Hölderlin im letzten Aufschwung zur mythischen Schau) ungeheure Zeiträume im Vergangenen und Zukünftigen: er aber, der Klardämonische, sieht sie dämonisch klar zum Greifen. Er muß nur die Hand ausstrecken, die heiße rasche Hand, um sie zu fassen; und kaum hat er sie ergriffen, sind sie schon durchblutet von Bildern, zuckend von Musik, lebend und beseelt. Und dieser Zustrom der Ideen, der Bilder setzt nicht eine Sekunde dieser wahrhaft napoleonischen Tage aus. Der Geist wird hier überflutet, es wird ihm Gewalt, Elementargewalt angetan. »Der Zarathustra überfiel mich« – immer ist es ein Überfallenwerden, ein Wehrloswerden vor einem Übermächtigen, das er berichtet – als sei irgendwo in seinen Sinnen ein geheimer Staudamm der Vernünftigkeit,der organischen Abwehr vor einer Flut eingestürzt, die nun sturzbachhaft über den ohnmächtig, den herrlich Willenlosen hereinstürzt. »Es ist vielleicht überhaupt niemals etwas aus einem gleichen Überfluß von Kraft heraus getan worden«, sagt Nietzsche ekstatisch von jenen letzten Werken; aber mit keinem Worte wagt er zu sagen, daß es seine eigene Kraft war, die ihn beschenkt und zersprengt. Im Gegenteil, er fühlt sich trunken – fromm nur als »Mundstück jenseitiger Imperative«, als heilig Besessenen höheren dämonischen Elements.
Aber dies Wunder der Inspiration, den Schrecken und Schauer dieses fünf Monate lang ohne Pause niederbrechenden Gewitters von Produktion, wer darf es schildern, da er selbst in der Verzückung des Dankes, in der Leuchtkraft unmittelbarster, erlebtester Durchführung sein Erleben geschildert hat? Man darf nur diese mit Blitzen gehämmerte Prosaseite abschreiben, wie er sie schrieb: »– Hat jemand, Ende des neunzehnten Jahrhunderts, einen deutlichen Begriff davon, was Dichter starker Zeitalter Inspiration nannten? Im anderen Falle will ich's beschreiben. – Mit dem geringsten Rest von Aberglauben in sich würde man in der Tat die Vorstellung, bloß Inkarnation, bloß Mundstück, bloß Medium übermächtiger Gewalten zu sein, kaum abzuweisen wissen. Der Begriff Offenbarung, in dem Sinn, daß plötzlich, mit unsäglicher Sicherheit und Feinheit, Etwas sichtbar , hörbar wird, Etwas, das Einen im Tiefsten erschüttert und umwirft, beschreibt einfach den Tatbestand. Man hört, man sucht nicht; man nimmt, man fragt nicht, wer da gibt; wie ein Blitz leuchtet ein Gedanke auf, mit Notwendigkeit, in der Form ohne Zögern ich habe nie eine Wahl gehabt. Eine Entzückung, deren ungeheure Spannung sich mitunter in einen Tränenstrom auslöst, bei der der Schritt unwillkürlich bald stürmt, bald langsam wird; ein vollkommnes Außer-sich-Sein mit dem distinktesten Bewußtsein einer Unzahl feiner Schauder und Überrieselungen bis in die Fußzehen; eine Glückstiefe, in der das Schmerzlichste und Düsterste nicht als Gegensatz wirkt, sondern als bedingt, als herausgefordert,
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