Der Kampf mit dem Dämon
Überwahrheit verdroß (wenn er einmal, durch sein eigenes Schweigen gereizt, aus sich gewaltsam vorbrach). Es wehte keineweiche Luft des Gespräches um sein Wesen, keine anschmiegende Sympathie strahlte von Antlitz und Wort. Die ihn noch am besten verstand, Rahel, hat es am besten gesagt, »es ging streng um ihn her«. Auch sie, die sonst so Schildernde und Erzählende, zeigt ihn nur von innen, nur die Atmosphäre seines Wesens, nicht seines Wesens plastisches Bild. So bleibt er uns der unsichtbare, der »unaussprechliche« Mensch.
Die meisten, die ihm begegneten, bemerkten ihn nicht, oder sie bogen an ihm vorbei mit einem Gefühl von Grauen und Peinlichkeit. Die ihn kannten, liebten ihn, und die ihn liebten, liebten ihn mit Leidenschaft: doch auch ihnen streifte in seiner Gegenwart noch kalt eine geheime Angst über die Seele und hinderte ihnen Herz und Hand. Wem der Verschlossene sich auftat, dem zeigte er seine ganze Tiefe. Aber jeder fühlte sogleich, daß diese Tiefe ein Abgrund war. Keinem wird wohl in seiner Nähe, und doch zieht er die Nächsten magisch an. Keiner verläßt ihn ganz, der ihn kannte, und doch hält keiner bei ihm durch: der Druck seiner Atmosphäre, die Überhitzung seiner Leidenschaft, die Übertreibung seiner Forderungen (von jedem fast fordert er gemeinsamen Tod!) sind zu übermächtig, daß ein zweiter sie ertrüge. Jeder will zu ihm, jeder scheut vor seinem Dämon zurück; jeder fühlt, daß er nur durch eine Spanne von Tod und Untergang getrennt ist. Wie ihn Pfuel in Paris abends nicht zu Hause findet, stürzt er in die Morgue, ihn unter den Selbstmördern zu suchen. Wie Marie von Kleist eine Woche lang nichts von ihm hört, jagt sie ihren Sohn: er soll ihn aufsuchen und Entsetzliches verhindern. Die ihn nicht kannten, halten ihn für gleichgültig und kalt. Die ihn kennen, schauern und erschrecken vor dem finsteren Feuer, das ihn verzehrt. So kann ihn keiner anfassen und stützen: den einen ist er zu kalt, den andern zu heiß. Nur der Dämon bleibt ihm getreu.
Er weiß es selbst, daß es »gefährlich ist, sich mit mir einzulassen«, wie er einmal sagt. Deshalb klagt er auch keinen an, der sich von ihm zurückgezogen; wer ihm nahe war, hat sich versengt an seinem Feuer. Wilhelmine von Zenge, seiner Braut, hat er durch Intransigenz seiner moralischen Forderungen die Jugend verstört, Ulrike, der Lieblingsschwester, das Vermögen weggelebt, Marie von Kleist, die Herzensfreundin, läßt er leer und vereinsamt zurück, Henriette Vogel reißt er mit sich in den Tod. Er kennt die Gefährlichkeit seines Dämons,die furchtbare Fernwirkung seines Innern: so zieht er sich immer mehr, immer krampfhafter in sich selbst zurück, macht sich noch einsamer, als die Natur ihn schuf. Ganze Tage verbringt er in den letzten Jahren mit der Pfeife im Bett, schreibend und dichtend; selten nur geht er aus, und dann meist »in Tabagien und Kaffeehäuser«. Seine Unmitteilsamkeit wird immer vehementer, immer mehr geht er den Menschen verloren; als er im Jahre 1809 auf ein paar Monate verschwindet, notieren seine Freunde gleichgültig seinen Tod. Er fehlt niemandem, und endete er sein Leben nicht dann derart melodramatisch, so hätte keiner sein Fortsein bemerkt, so stumm, so fremd, so undurchdringlich war er der Welt geworden.
Wir haben kein Bild von ihm, kein Bild seines äußern Wesens und kaum eines seines Innern als die Spiegelschrift seines Werkes, seiner expansiven Briefe. Ein einziges Bild freilich gab es des Bildnislosen, ein wundervolles, das die wenigen erschütterte, die es gelesen, ein Bekenntnis im Geiste Rousseaus, eine »Geschichte meiner Seele«, die er kurz vor seinem Tode verfaßt hat. Aber wir kennen sie nicht, er hat das Manuskript verbrannt, oder die gleichgültigen Hüter seines Nachlasses haben es sorglos vertan so wie seinen Roman und manches andere Werk. So stürzt sein Antlitz ins Dunkel zurück, in dem es vierunddreißig Jahre geschattet. Wir haben kein Bild von ihm; wir kennen nur seinen finsteren Begleiter: den Dämon.
Pathologie des Gefühls
Verflucht das Herz, das sich nicht
mäßigen kann.
Penthesilea
Die Ärzte, die, von Berlin herbeigeeilt, den noch warmen Leichnam des Selbstmörders untersuchen, finden
den Körper gesund und lebenskräftig. In keinem Organ ist ein Gebrest sichtbar und nirgends andere Todesurteile erkennbar als die gewaltsame, als die Kugel, die sich der Verzweifelte mit zielsicherer Hand in den Schädel gejagt. Um aber den Befundmit irgendeinem
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