Der Kampf mit dem Dämon
gelehrten Wort zu verbrämen, schreiben sie in das Protokoll, der »p.p. Kleist« sei ein »sanguino-cholericus in summo gradu« gewesen und daß man »auf einen krankhaften Gemütszustand« schließen könnte. Man sieht: verlegene Worte, ein Befund a posteriori ohne Zeugnis und Beweis. Nur die Vorbedingungen ihres Protokolls bleiben uns psychologisch wesenhaft, nämlich, daß Kleist körperlich gesund und lebensfähig, daß seine Organe durchaus intakt waren. Dem widersprechen auch die andern Zeugnisse seiner Biographie nicht, die von geheimnisvollen Nervenzusammenbrüchen, von der Stockigkeit seiner Verdauung, von mancherlei Leiden häufig berichten. Kleistens Krankheiten waren (um einen Terminus der Psychoanalyse zu gebrauchen) wahrscheinlich mehr Flucht in die Krankheit als eigentliches Gebrest, vehemente Ruhebedürfnisse des Leibes nach den ekstatischen Überspannungen der Seele. Seine preußischen Ahnen hatten ihm eine solide, fast allzu harte Physis vererbt: sein Verhängnis stak nicht im Fleisch, zuckte nicht im Blut, sondern schwärmte und gärte unsichtbar in seiner Seele.
Aber er war auch eigentlich nicht ein Seelenkranker, eine hypochondrische, misanthropisch-verdüsterte Natur (obwohl Goethe einmal absprechend sagt, »sein Hypochonder sei doch schon gar zu arg«). Kleist war nicht belastet, war nicht wahnsinnig, höchstens überspannt, wenn wir das Wort im sinnlichsten, wörtlichsten Sinn seines Ursprungs richtig aussprechen wollen (und nicht im verächtlichen, wie es der aufgeplusterte Primanerdichter Theodor Körner bei der Nachricht seines Freitodes vom »überspannten Wesen des Preußen« handhabt). Kleist war überspannt im Sinne von: zu viel gespannt, er war von seinen Gegensätzen ständig auseinandergerissen und beständig bebend in dieser Spannung, die, wenn der Genius sie berührte, gleich einer Saite schwang und klang. Er hatte zu viel Leidenschaft, eine maßlose, zügellose, ausschweifende, übertreiberische Leidenschaft des Gefühls, die beständig zum Exzeß drängte und doch nie in Wort oder Tat durchbrechen konnte, weil eine ebenso stark aufgetriebene und übertriebene Sittlichkeit, ein kantisches, überkantisches Pflichtmenschentum mit gewaltsamen Imperativen die Leidenschaft zurückstieß und versperrte. Er war leidenschaftlich bis zur Lasterhaftigkeit bei einem fast krankhaften Sauberkeitsempfinden, er wollte immer wahr sein und mußte sichimmer verschweigen. Daher dieser Zustand ständiger Spannung und Stauung, diese unerträgliche Qual seelischen Auftriebs bei verpreßten Lippen. Er hatte zuviel Blut bei zuviel Hirn, zuviel Temperament bei zuviel Zucht, zuviel Gier bei zuviel Ethos und war ebenso übertreiberisch im Gefühl wie überwahrhaftig im Geist. So spannte sich der Konflikt immer gewaltsamer durch sein ganzes Leben; allmählich mußte der Druck zur Explosion führen, wenn sich kein Ventil auftat. Und Kleist (das war sein Verhängnis im letzten) hatte kein Ventil, keinen Ausstrom: im Wort gab er sich nicht her, nichts von seinen Spannungen floß ab in Gesprächen, in Spielen
, in kleinen erotischen Abenteuern oder verschwemmte sich in Alkohol und Opium. Nur in den Träumen (in seinen Werken) tobten sich schwelgerisch seine wüsten Phantasien, seine überhitzten (und oft dunklen) Triebe aus; wenn er wach war, duckte er sie mit eherner Hand, ohne sie aber ganz töten zu können. Ein Schuß Laxheit, Indifferenz, Knabenhaftigkeit, Sorglosigkeit: und seine Leidenschaften hätten das böse Gehaben eingesperrter Raubtiere verloren; aber er, der Ausschweifendste, Schwelgerischeste im Gefühl, war ein Fanatiker der Zucht, er übte preußischen Drill gegen sich selbst und stand mit sich ständig im Widerstreit. Sein Inneres war wie ein unterirdischer Käfig niedergeduckter, aber nicht gezähmter Gelüste, die er mit dem rotglühenden Eisen gehärteten Willens immer zurückstieß. Aber immer sprangen die hungrigen Bestien wieder in ihm auf. Und schließlich haben sie ihn zerrissen.
Dieses Mißverständnis zwischen wahrem und selbstgewolltem Wesen, diese ständige Überspannung von Trieb und Widertrieb schuf seine Qual in Schicksal um. Seine Hälften paßten nicht zusammen und rieben sich ständig blutig: er war ein russischer Mensch, ein Maßloser, lechzend nach Überschwang und dabei eingeschnürt in den Waffenrock eines märkischen Adeligen; er hatte große Begierden und dabei das strikte imperativische Bewußtsein, er dürfe ihnen nicht nachgeben. Sein Intellekt verlangte nach
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