Feind des Feindes
1
Seine Versuche, eine Frau zu erdrosseln, waren alle erfolglos geblieben.
Doch das war sein altes Ich gewesen. Er war krank, verwirrt oder verzweifelt oder ganz einfach nur betrunken gewesen, und außerdem hatte er keine ganz ernst gemeinten mörderischen Absichten gehabt. Jetzt war alles anders.
Sie mißverstand ihn, als er in der Koje das Licht ausmachte, und sie hatte noch Zeit, ein Kichern hören zu lassen, als er sie auf den Bauch drehte und sich rittlings auf sie setzte.
Dann begann er sie fast zärtlich zu erdrosseln, als wäre es ein Liebesakt, als wäre sie tatsächlich seine Ehefrau.
Er verlagerte das Gewicht seiner Knie auf ihre Oberarme und suchte mit dem Daumen behutsam ihren Nacken ab, bis er den Punkt fand, an dem Schädel und Halswirbel aufeinandertreffen, und dann griff er mit den Fingern tiefer um ihren Hals.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie zu begreifen schien, was mit ihr geschah. Sie zappelte etwas, schlug mit den Beinen um sich, so wie ein Fisch an Land mit der Schwanzflosse schlägt. Doch die weiche Bettwäsche verschluckte den Laut, und nach fünfzehn sehr langen Sekunden, als sie infolge der abgequetschten Blutzufuhr zum Gehirn bewußtlos wurde, blieb sie reglos liegen.
Nur langsam lockerte er den Griff. Dann erhob er sich schwer atmend und blieb eine Weile lautlos in der Dunkelheit stehen, während er sich die steifen Finger massierte.
Er öffnete das Kabinenbullauge, zog einen Hocker zu sich heran und steckte den Kopf hinaus. Kalter Wind und ein harter Regen peitschten ihm ins Gesicht. Er versuchte nach oben und zur Seite zu blicken, doch der Wind und der Eisregen machten es unmöglich, etwas zu erkennen.
Es war zwei Uhr nachts in der dunkelsten Zeit des Jahres, und das Schiff befand sich draußen in der Ostsee auf offenem Meer. Das Risiko, daß irgendein Mitpassagier an Deck stand und die Aussicht aufs Meer bewunderte, war gleich Null. Er zog den Kopf herein, stieg von dem Hocker herunter und trocknete sich mit der Gardine das Gesicht. Dann holte er ein paarmal tief Luft, sammelte sich, ging zur Koje hinüber und zwängte der Frau das Nachthemd über den Kopf. Es war ein weicher, seidenähnlicher Stoff, vermutlich ein allzu luftdichtes Kunstfasergewebe. Unter dem Stoff konnten sich Luftkissen bilden.
Dann nahm er ihr Ringe und Armbanduhr ab und warf sie hinaus. Er bog sich ihren rechten Arm über die Schulter, schleppte sie zu der runden Öffnung des Bullauges und bekam nur mit einiger Mühe ihren Oberkörper und beide Arme ins Freie. Er umfaßte ihre Knie und schob sie nach oben, bis sie über den Rand des Bullauges hinwegglitt. Urplötzlich und lautlos war sie verschwunden.
Er schraubte das Bullauge fest, beugte sich vor und legte die Stirn an das kalte, feuchte Glas.
Ihre Kabine lag etwa mittschiffs. Die Fallhöhe betrug fast zehn Meter. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Turbulenz des Wassers sie in mehr als zehn Meter Tiefe herunterziehen oder in den Sog der Schiffsschraube geraten lassen würde, war recht hoch. Dagegen war es ziemlich unwahrscheinlich, daß sie auf schwedischem Territorium an Land gespült und identifiziert werden würde.
Und außerdem spielte das keine Rolle. In dem Augenblick hatte er schon gewonnen oder verloren, dann wäre alles schon entschieden.
Er ging zur Tür und schaltete das Licht an. Dann nahm er ein Handtuch und wischte das Regenwasser um das Bullauge und auf dem Fußboden auf.
Er stopfte ihre Habseligkeiten in die kleine Reisetasche; die Hygieneartikel legte er geordnet ins Reisenecessaire, darauf das weiße, seidenähnliche Nachthemd. Dann zog er sich an, zog die Bettwäsche in der unteren Koje zurecht und legte sich mit unter dem Kopf gefalteten Händen darauf. Vor drei Tagen war er fünfzig geworden. Aus Anlaß dieses Feiertags hatte er in Übereinstimmung mit irgendwelchen Paragraphen einen Hafturlaub von achtundvierzig Stunden bekommen; bei Ablauf dieses Urlaubs würde er sich schon auf der anderen Seite befinden. Wahrscheinlich würde man erst dann mit der Fahndung nach ihm beginnen. Vermutlich würden die Kollegen, die in einem Wagen vor ihrer Wohnung in einem Vorort saßen… vor der Wohnung, in der sie gewohnt hat, korrigierte er sich… vermutlich würden die Kollegen einander nur ablösen, weiterhin einen leeren Käfig sowie einen Leihwagen bewachen, der nie benutzt werden würde, jedoch auffallend und höchst vorschriftswidrig vor der Haustür geparkt stand.
Falls wider Erwarten eine Fahndung bevorstünde, wurde die
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