Der Kampf mit dem Dämon
und gerade darum vielleicht, weil er da physisch nicht ganz vollwertig und einlinig war, übertrifft er alle andern Dichter um ihn an erotischem Wissen. Die überhitzte Atmosphäre seines Blutes, die ständig bis zum Zerreißen vehemente Straffung seiner Nerven treibt aus den Untergründen die geheimsten Rückstände des Gefühls heraus: die seltsamen Gelüste, die bei andern im Unterbewußten verdämmern und versickern, brechen bei ihm fieberfarben vor und durchschweben feurig den Eros seiner Gestalten. Durch die Übertreibung des Urelements – und Kleist ist Künstler einerseits durch Präzision der Beobachtung wie andererseits durch Übersteigerung des Maßes – reißt er jedes Gefühl bis ins Pathologische hinaus. All das, was man grobschlächtig die Pathologia sexualis nennt, wird in seinem Werke bildhaft in fast klinischen Bildern: Männlichkeit übertreibt er zur Männischkeit, zu Sadismus beinahe (Achill und Wetter vom Strahl), Leidenschaft zur Nymphomanie, Blutschwelgerei und Lustmord (Penthesilea), weibliche Hingabe zu Masochismus und Hörigkeit (Käthchen von Heilbronn); dazu mengt er noch all die dunklen Mächte der Seele, wie Hypnotik, Somnambulismus, Wahrsagerei. Alles, was in der Naturgeschichte des Herzens auf dem äußersten Blatte verzeichnet ist, das Exzentrische des Gefühls, das Herausgebogenseindes Menschen über seinen letzten Rand, dies und gerade dies lockt ihn zu dichterischem Gebilde. Immer waltet dieser Charakter wüster, sinnlich überhitzter Träume in seinem Werke vor: er wußte die Kakodämonen, die glühenden Mächte seines Blutes, nicht anders zu beschwören, als daß er sie mit der Peitsche der Leidenschaft hineintrieb in seine Gestalten. Kunst ist für ihn Exorzismus, Austreibung der bösen Geister aus dem gefolterten Leib ins Imaginäre. Sein Eros lebt sich nicht aus, sondern träumt sich bloß aus: daher diese Verzerrungen ins Gigantische und Gefährliche, die Goethe erschreckt und manchen Unbelehrten abgestoßen haben.
Aber nichts Fehlerhafteres, als darum in Kleist einen Erotiker zu sehen (der Eros deutet bloß immer sinnlicher als die nur geistigen Leidenschaften den Habitus jeder Natur). Zum Erotiker – im Sinne des Genießers, des Wollüstigen – fehlt ihm vollkommen das Moment der Lustbetonung. Kleist ist das Gegenteil eines Genießers, er ist der Erleider, der Gequälte seiner Leidenschaft, der Nichtverwirklicher, der Nichterfüller seiner heißen Träume: daher das Gestaute, Gepreßte, ewig Rückfließende und Aufkochende seiner Gelüste. Auch hier erscheint er wie überall als der Getriebene, als der Gejagte eines Dämons, ewig im Kampf mit seinen Zwängen und Drängen, entsetzlich leidend unter dieser Zwanghaftigkeit seiner Natur. Aber der Eros ist nur einer in der schäumenden Koppel, die ihn quer durch das Leben hetzt: seine andern Leidenschaftlichkeiten sind nicht minder gefährlich und blutgierig, denn jede treibt er ja – als der furchtbarste Übertreiber, den die neue Literatur kennt – bis in den Exzeß, jede Not der Seele, jedes Gefühl fiebert er ins Manische, ins Klinische, ins Selbstmörderische hinein. Ein Pandämonium der Leidenschaft tut sich auf, wo immer der Blick an ein Werk, an eine Wesensäußerung Kleistens tastet. Er war voll Haß, voll Ressentiment, ja voll gepreßter aggressiver Gereiztheit; und wie furchtbar diese enttäuschte Machtgier in ihm wühlte, spürt man, wo das Raubtier sich von der niederdrückenden Faust befreit und die Gewaltigsten, einen Goethe oder Napoleon, anspringt: »Ich will ihm den Kranz von der Stirne reißen«, das ist noch das mildeste Wort seines Hasses gegen den, zu dem er vordem »auf den Knien seines Herzens« gesprochen. Eine andere Bestie aus der fürchterlichen Meute der exzedierenden Gefühle: der Ehrgeiz, verschwistert einem tollen, halsbrecherischen Stolz,der jeden Einwand mit der Fußsohle zertritt. Dann ein dunkler saugender Vampir in Blut und Hirn: eine finstere Schwermut, aber nicht wie jene Leopardis und Lenaus ein passiver Seelenzustand, eine musikalische Dämmerung des Herzens, sondern »ein Gram, über den ich nicht Meister zu werden vermag«, wie er schreibt, eine aggressive glühende Todesfiebrigkeit, eine brennende Qual, die ihn wie Philoktet mit vergifteter Wunde in die Einsamkeit zurückjagt. Und daraus wieder eine neue Not: die Qual der Ungeliebtheit, die er im »Amphitryon« dem Gott der Schöpfung der Natur anvertrauen läßt, auch sie gesteigert zu einer Raserei der Einsamkeit. Was immer
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