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Der Kampf mit dem Dämon

Der Kampf mit dem Dämon

Titel: Der Kampf mit dem Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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diese sonderliche Mischung von Heiß und Kalt, von Zuwenig und Zuviel, von Brunst
    und Scham, von Überfließen und Verhalten, dies Wetterwendische und Wetterleuchtende, die bis zum Blitz elektrisch geladenen Nerven. Alle beunruhigen sie selbst den, der sie lieben will (wie Kleist selbst seine Freunde): deshalb ist ihr Heldentum nie populär, nie verständlich für das deutsche Volk geworden, niemals ein Schullesebuch-Heldentum. Selbst das Käthchen, das nur einen Schritt noch ins Banale, ins Butzenscheibenhafte zurücktreten müßte, um ins Volkhafte zu Gretchen und Luise hinüberzugehen, hat einen kranken Zug in der Seele, ein Übermaß der Hingabe, das der gemeine Sinn nicht versteht, so wie Hermann wieder, der Nationalheld, einen Schuß zuviel Politik und heuchlerische Geschicklichkeit, zuviel Talleyrand hat, um vaterländische Paradefigur zu werden. Immer ist jedem Banal-Idealischen schon vorweg im Blute ein gefährlicher Tropfen beigemischt, der sie volksfremd macht: dem preußischen Offizier Homburg die (herrlich wahre, aber dem Nimbus unerträgliche) Furcht vor dem Tode, der griechischen Penthesilea die bacchische Gier, dem Wetter vom Strahl ein männisches Reitpeitschentum, Thusnelda ein Gran Dummheit und putzweiberischer Eitelkeit. Alle rettet sie Kleist vor dem Tenorhaften, vor dem Schillerischen, vor dem Farbdruckklischee durch irgendein Urmenschliches in ihrem Wesen, das im Affekt nackt, schamlos nackt unter dem dramatischen Faltenwurf herauskommt. Jeder hat irgendwelches Sonderliches, Unerwartetes, etwas Unharmonisches, etwas Untypisches im seelischen Gesicht, jeder (außer dem nur theatralisch hingestellten Theaterbuffon, der Kunigunde und den Soldaten) wiebei Shakespeare einen scharfen Zug in der Physiognomie: so wie Kleist als Dramatiker antitheatralisch ist, so ist er als Menschenbildner unbewußt antiidealisch. Denn alle Idealisierung geschieht immer entweder durch bewußte Retusche oder durch ein zu oberflächliches, ein kurzsichtiges Sehen. Kleist aber sieht immer klar und haßt nichts so sehr als das kleine Gefühl. Er ist eher geschmacklos als banal, eher stockig und übertreiberisch als süßlich. Rührung ist ihm, dem Herben und Geprüften, dem Wissenden um wirkliches Leiden, ein widerwärtiges Element, also wird er bewußt antisentimentalisch und verschließt gerade in jenem Augenblicke, wo die banale Romantik beginnt, vor allem in den Liebesszenen, seinen Menschen keusch den Mund, einzig ihnen Erröten gewährend, ergriffenes Stammeln, den Seufzer oder das letzte Schweigen. Er verbietet seinen Helden, sich gemein zu machen: darum sind sie – seien wir offen – dem deutschen Volk und jedem andern nur literarisch vertraut und nicht längst von der Bühne herab ins Wesen spruchhaft, bildhaft eingegangen. Sie können als national nur im Sinne einer erträumten deutschen Nation gelten, ebenso wie theatralisch nur als Figuren jenes »Imaginären Theaters«, von dem Kleist zu Goethe sprach. Sie passen sich nicht an, sie haben alle Eigenwilligkeit und Inkonzilianz ihres Schöpfers und jeder darum um sich eine Handbreit Einsamkeit. Seine Dramen bleiben von vorne und rückwärts mit der Literatur von Ahnen und Enkeln unverbunden, sie erbten keinen Stil und haben keinen gezeugt. Kleist war ein Einzelfall, und ein Einzelfall ist seine Welt geblieben.
    Ein Einzelfall: denn sie ist weder die Epoche von 1790 bis 1807, noch begrenzt durch Gemarkung Brandenburgs oder Deutschlands; sie ist geistig nicht durchflogen von dem Atem der Klassik, noch durchdunkelt von der katholischen Dämmerung der Romantik. Kleistens Welt ist so sonderbar und zeitlos wie er selbst, eine saturnische Sphäre, weggewendet vom Tageslicht und der klaren Erscheinung. So wie der Mensch interessiert Kleisten die Natur, die Welt erst dort an ihrer äußersten Grenze, wo sie über sich selbst hinaustritt ins Unerhörte und Unwahrscheinliche, ja, ich möchte fast sagen, wo sie übermäßig, wo sie lasterhaft wird und die Norm verläßt. Genau wie in der Menschheit beschäftigt ihn bei den Geschehnissen nur das Anormale, die Abweichung von der Regel (dieMarquise von O.; das Bettelweib von Locarno; das Erdbeben in Chili), immer also der Augenblick, wo sie den vorgezogenen Kreisen Gottes auszubrechen scheint. Nicht umsonst hat er Schubarts »Nachtseite der Natur« so leidenschaftlich gelesen: alle die Zwielichtsphänomene des Somnambulismus, der Nachtwandlerei, der Suggestion, des tierischen Magnetismus sind willkommener Stoff für seine

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