Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kampf mit dem Dämon

Der Kampf mit dem Dämon

Titel: Der Kampf mit dem Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
Vom Netzwerk:
Gleichsam der Revers seines Wesens wird sichtbar, eine Exaltation des Nichtexaltiertseins,ein Übermaß des Maßhaltens. Auch Stendhal hatte ja zur kalten, nichtbildernden, antisentimentalischen Prosa tendiert und täglich das Bürgerliche Gesetzbuch gelesen, so wie Kleist den Ton der Chroniken sich zum Vorbild nimmt: während er aber bloß zu einer Technik kommt, gerät Kleist, der Triebhafte, in eine Passion des Nichtpassioniertseins, das Übermaß der Spannung ist nun aus ihm selbst in den Leser übergeschaltet. Aber immer spürt man das Zuviel, das unweigerlich von seinem Wesen ausgeht: darum ist von seinen Novellen die stärkste diejenige, die das Motiv seines Wesens in Gestaltung verwandelt, »Michael Kohlhaas«, der herrlichste, sinnvollste Typus des Übertreibers, den Kleist geschaffen, der Mann, der seine stärksten Kräfte durch Übersteigerung zur Zerstörung treibt, Gradsinn zu Starrsinn, Rechtlichkeit zu Rechthaberei; unbewußt ist er Sinnbild seines Gestalters, der aus seinem Besten das Gefährlichste schuf und aus dem Fanatismus des Willens über Weg und Ziel hinausdrängt. Auch in der Zucht, in der Verhaltung ist Kleist ebenso dämonisch übermäßig wie in der Schwelgerei, wie im Entströmen.
    Am vollendetsten erscheint diese Mischung, ich sagte es schon, im Absichtslosen, in jenen kleinen Anekdoten, die er gleichsam jenseits der Kunstabsicht schrieb, und dann in jener großartigsten Darstellung eines sonderbaren Menschen: in seinen Briefen. Nie hat sich ein deutscher Dichter ähnlich aufgetan der Welt gestellt, als Kleist in der Handvoll Briefe, die von ihm erhalten sind. Sie scheinen mir unvergleichbar mit den psychologischen Dokumenten Goethes und Schillers, weil Kleistens Wahrhaftigkeit unendlich kühner, hemmungsloser, abgründiger und unbedingter ist als die unbewußten Stilisierungen, die immer ästhetisch gebundenen Bekenntnisse der Klassiker. Kleist exzediert seiner ganzen Natur gemäß auch im Bekenntnis, er gibt der grausamsten Selbstzerfleischung noch einen geheimnisvollen Lustton, er hat nicht nur Liebe, sondern eine Art Brünstigkeit zur Wahrheit und eine herrliche Ekstatik immer im allertiefsten Schmerz. Nichts Schneidenderes als die Schreie dieses Herzens, und doch scheinen sie aus einer unendlichen Höhe zu kommen wie der zuckende Ton eines getroffenen Raubvogels, nichts Großartigeres als das heroische Pathos seiner klagenden Einsamkeit. Man meint die Qual des vergifteten Philoktet zu hören, der abseits von den Brüdern, einsam auf der Insel seines Geistes mit den Göttern hadert; undwie er sich in der Qual der Selbsterkenntnis die Kleider vom Leibe reißt, steht er nackt vor uns da, aber nackt nicht wie ein Schamloser, sondern nackt wie ein Blutender, wie ein Brennender, der sich eben dem letzten Kampf entwunden. Es sind Schreie darin aus der letzten Tiefe der Irdischkeit, Schreie des zerrissenen Gottes oder eines gequälten Tieres, und dann wieder Worte einer furchtbaren Wachheit, eines überstarken Innenlichts, das die Augen blendet. In kein Werk vermochte er sich so ganz hineinzuwerfen wie in seine Briefe, keines hat so urtümlich seine Zweiheit von Knappheit und Überschwang, von Ekstase und Analyse, von Zucht und Leidenschaft, von Preußischheit und Urwelt. Vielleicht waren in jenem verschollenen Manuskript, in der »Geschichte meines Innern«, all diese Flammen und Blitze noch gebunden in ein einziges Licht; aber dies Werk, das gewißlich kein Kompromiß von »Dichtung und Wahrheit« war, sondern der Fanatismus der Wahrheit selbst, ist uns verloren. Hier wie immer hat das Schicksal ihm die Rede gehemmt und dem »unaussprechlichen Menschen« in ihm verboten, sein eigenes Geheimnis zu verraten.
    Die letzte Bindung
    Denn über alles siegt das Rechtsgefühl.
    Die Familie Schroffenstein
    In allen seinen Dramen war Kleist Selbstverräter seines Wesens: in jedem hat er einen feurigen Teil seiner Seele aus sich in die Welt geschnellt, eine Leidenschaft in Gestalt verwandelt. So kennt man ihn teilhaft ganz und seinen Widerstreit: doch aber wäre seine Erscheinung nicht ins Zeitlose getreten, hätte er in seinem letzten Werk nicht das Höchste zu geben vermocht: sich ganz in seiner höchsten Gebundenheit. Hier
    , im »Prinzen von Homburg«, hat er mit jener letzten Genialität, die das Schicksal einem Künstler selten mehr als einmal verleiht, sich selbst, seines Wesens Urmacht, seinen Lebenskonflikt zur Tragödie erhoben: die Antinomie von Leidenschaft und Zucht. In der

Weitere Kostenlose Bücher