Der Kampf mit dem Dämon
daß Kleist sich »mit der unheilbaren Seite« der Natur befasse, denn oftmals sprach er von der »Gebrechlichkeit der Welt«, ihm war sie unheilbar, nie ganz zu vereinen, schmerzliche Ungelöstheit und Unlösbarkeit. Damit gewinnt er aber die wahrhafte Einstellung des Tragikers: nur wer die Welt unablässig als Vorwurf empfindet, im doppelten Sinne des Worts, als Stoff und als Anklage zugleich, der kann als Kläger und Richter Mund um Mund, Rede um Rede dramatisch auftun und jeden sein Recht haben lassen wider das ungeheure Unrecht der Natur, die den Menschen so fragmentarisch, so zerteilt, so ewig unbefriedigt gemacht. Freilich ist solche Vision der Welt nicht hellen Auges zu sehen. Goethe hatte ironisch einem andern Verdunkelten, Arthur Schopenhauer, in sein Stammbuch geschrieben:
Willst du dich deines Wertes freuen,
So mußt der Welt du Wert verleihen.
Nun, niemals konnte Kleistens tragische Anschauung sich entschließen, wie Goethe der Welt »Wert zu verleihen«, und wahrhaft hat es sich darum auch ihm erfüllt, daß er sich nie »seines Wertes freuen« durfte. An seiner eigenen Unzufriedenheit mit dem Kosmos gehen alle seine Geschöpfe zugrunde: tragische Kinder eines echten Tragikers wollen sie ewig über sich hinaus und mit dem Kopf durch die starre Wand des Schicksals. Goethes Konzilianz, die sich weise resignierend mit dem Leben abfand, mußte sich unwillkürlich seinen Figuren, seinen Problemen mitteilen, die darum niemals antike Größe erreichten, selbst wenn sie sich Gewand und Kothurn borgten. Auch die tragisch konzipierten, wie Faust und Tasso, beschwichten und beruhigen sich und werden »gerettet« vor ihrem letzten Selbst, vor ihrem heiligen Untergang. Er wußte, der Urweise, um das Zerstörerische der wahren Tragik (»eswürde mich zerstören«, bekennt er, wenn er eine wirkliche Tragödie schriebe); er sah mit seinem Adlerblick die ganze Tiefe der eigenen Gefahr, aber er war zu vorsichtig-weise, sich niederzustürzen. Kleist dagegen war heldenhaft unweise, er hatte den Mut und die Besessenheit zur letzten Tiefe: wollüstig jagte er seine Träume und seine Gestalten in die äußersten Möglichkeiten hinab, wohl wissend, daß sie ihn mitreißen würden in das heilige Verhängnis. Er sah die Welt als Tragödie, so schuf er Tragödien aus seiner Welt und formte als ihre letzte und höchste sein eigenes Leben.
Welt und Wesen
Froh kann ich nur in meiner eigenen Gesellschaft sein,
weil ich da ganz wahr sein darf.
Aus einem Brief
Kleist hat wenig von der Wirklichkeit gewußt, aber unendlich viel von der Wesenheit: er lebte fremd, ja feindlich inmitten seiner Zeit und Sphäre, verstand der anderen Menschen Lauheit und Verbindlichkeit kaum mehr, als sie seine eigenbrötlerische Stockigkeit, seine fanatische Übertreiblichkeit. Seine Psychologie war wehrlos, vielleicht sogar augenlos gegenüber dem allgemeinen Typus, gegen alle Erscheinungen mittleren Maßes: erst wo er Gefühle gewaltsam vergrößert
, Menschen in höhere Dimensionen steigert, beginnt sein seherischer Sinn. Nur in den Leidenschaften, im Übermaß der innern ist er der äußern Welt verbunden, nur dort, wo die Natur der Menschen dämonisch, wo sie abgründig und unvermutet wird, hört seine Isolierung auf: wie manche Tiere sieht er nicht klar im Licht, sondern erst im Zwitterschein des Gefühls, in Nacht und der Dämmerung des Herzens. Das Unterste, das Vulkanisch-Feuerflüssige der Menschennatur scheint seiner wahren Sphäre einzig glühend verwandt. Er war zu ungeduldig, um kühl zu beobachten, um auf die Dauer realistisch zu experimentieren – so beschleunigt er durch Erhitzung das Wachstum der Geschehnisse zu einer wilden Tropik: nur das Glühende, der leidenschaftliche Mensch wird ihm zum Problem. Im letzten hat er keine Menschen geschildert,sondern sein Dämon hat den Bruder in ihnen hinter aller Irdischkeit erkannt, die Dämonie der Gestalten, die Dämonie der Natur.
Darum sind alle seine Helden so gleichgewichtslos: sie sind alle mit einem Teil ihres Wesens schon über die Sphäre des täglichen Lebens hinaus, jeder einzelne ein Übertreiber seiner Leidenschaft. Alle diese unbändigen Kinder seiner exzessiven Phantasie sind, wie Goethe von der Penthesilea sagte, »aus einem sonderbaren Geschlecht«, und jeder trägt seines Wesens Zug, das Nicht-Konziliante, das Herbe, Eigenwillige und Unbeeinflußbare: auf den ersten Blick erkennt man ihr Kainszeichen, daß sie zerstören müssen oder selbst zerstört werden. Alle haben sie
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