Der Katalysator
seine Leute zu schützen.
Mary blieb tatsächlich bei der Firma. Serane beschaffte ihr eine Stelle bei einem Vizepräsidenten in der Public-Relations-Abteilung in New York, und sie zog nach Manhattan. Niemand stellte Humbert irgendwelche Fragen, obgleich er ihre Akte zwei Wochen lang auf seinem Tisch liegen ließ und nur allzu glücklich gewesen wäre, Fragen über sie zu beantworten.
O wie herrlich das doch ist, dachte Kussman. Serane saß vor seinem Schreibtisch, auf dem Stuhl, den Kussman dort für Untergebene hingestellt hatte. Es war ein Stuhl ohne Armlehnen. Er stand im Licht eines gleißenden Spots, und die metallene Sitzfläche war nach vorn geneigt. Seranes Gesicht erschien unverbindlich, aber unter dieser Oberfläche schimmerte es düster. Er saß nicht auf der Stuhlkante und beugte sich auch nicht respektvoll vor, wie es die Etikette verlangte, aber das war eigentlich unwichtig. Es erfüllte Kussman mit einer ungeheuren Befriedigung, ihn hier zu haben, auf diesem Stuhl, ganz gleich, unter welchen Bedingungen. O Serane, ich habe dich geschlagen. Ich habe gewonnen. Du bist auf dem Schrottplatz gelandet. Es wird dir leid tun, überhaupt geboren zu sein.
„Ich werde ohne Aufsehen kündigen“, sagte Serane. „Ich überlasse es Ihnen, den Zeitpunkt zu bestimmen. Wenn Sie es wünschen, kündige ich mit sofortiger Wirkung.“
Kussman runzelte die Stirn. Er hatte nicht damit gerechnet, daß es so verlaufen würde. Es gefiel ihm nicht, wie Serane direkt zum Kern der Sache vorgedrungen war. Für das, was er im Sinn hatte, war es von wesentlicher Bedeutung, daß Serane noch ein paar Wochen blieb. Wenn Serane fristlos kündigte, war seine sorgfältig geplante Rache beim Teufel. Er beugte sich vor. „Haben Sie schon eine neue Stelle?“
„Nein, natürlich nicht. Ich habe nicht einmal angefangen, mich umzusehen.“
Kussman entspannte sich. Er lächelte. Es war ein gutes Lächeln, voll von optimistischer Innigkeit. Er schaute hinaus über die weiten Rasenflächen auf den Verkehr auf der Post Road. „Es tut mir leid, daß es dazu gekommen ist. Aber Sie müssen am besten wissen, wo Ihre Zukunft liegt. Wir können Ihnen eine angemessene Frist zum Suchen einräumen – sagen wir, bis zu sechs Wochen. Sie wissen natürlich, daß die Situation dadurch recht schwierig wird. Ich werde einen anderen Gruppenleiter finden müssen. Und ich werde Sie irgendwie beschäftigen müssen. Sie und Ihre Leute sind mit ihren Projektberichten übrigens ein paar Wochen im Rückstand. Wenn Sie das übernehmen könnten, würde ich einen ruhigen Arbeitsplatz für Sie finden. Schreiben Sie die Berichte in Langschrift. Mrs. Pinkster wird dafür sorgen, daß sie getippt werden.“
13
Das Loch
Serane bekam ein behelfsmäßiges Quartier in einem kleinen Büro in der zweiten Etage neben dem HCN-Raum. Hier arbeiteten gelegentlich solche Chemiker, die das Labor demnächst verlassen würden. Der Raum hatte einen Namen: das Loch.
Die Arbeit im Loch war oftmals hilfreich bei der Definition dessen, was man war und wo man gewesen war. Hier war die letzte Station auf der Straße nach Nirgendwo.
Paul hatte den Raum schon gesehen. Er kannte seinen Ruf. Jetzt stattete er ihm einen kurzen, aber feierlichen Besuch ab.
Er hatte die Geschichten gehört. Vor Jahren war dies das Büro des alten Dr. Krug gewesen, der die kleine HCN-Gruppe geleitet hatte. Eines Morgens hatte man ihn über seinen Schreibtisch zusammengesunken gefunden (über eben diesen Schreibtisch), Gesicht und Finger bläulich gefärbt. Niemand hatte je feststellen können, wie das HCN aus der HCN-Kammer in das angrenzende Büro hatte gelangen können, aber ganz offensichtlich war es ihm gelungen.
Der Sicherheitsbeauftragte schaffte Abhilfe, indem er Leichnam und Tür entfernen ließ, so daß das kleine Büro nun für jedermann offenstand und sich in seinem winzigen Innern keine Gase mehr ansammeln konnten.
Die Einrichtung im Loch bestand aus einem Tisch, einem Stuhl, einem Visi und einem Aschenbecher.
Die Schubladen des Schreibtisches ließen sich nicht öffnen. Es gab ein Fenster, doch keine Jalousie. Die Sonne brannte heiß in das Gesicht dessen, der dort arbeitete. Es gab weder Klimaanlage noch Heizung.
Das Fenster ließ sich nicht öffnen, und im Sommer konnte die Raumtemperatur nachmittags leicht auf vierzig Grad ansteigen. Im Winter war es meistens erforderlich, mehrere Pullover zu tragen. Während des großen Schneesturms im Jahre 1997 hatte jemand eine Flasche
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