Der Katalysator
die gegenwärtig von uns verwendete Methode zur Trialinherstellung aus Harnstoff hohe Druckverhältnisse, und der Ertrag ist gering. Wir würden sehr gern Trialin aus Harnstoff bei atmosphärischem Druck und mit einem Ertrag von neunzig-plus Prozent herstellen. Können wir das? Ist es theoretisch möglich? Nun, vielleicht. Es hängt vom Mechanismus ab. Ich will Ihnen sagen, daß der Mechanismus unter anderem in der Dehydration des Urea-Moleküls besteht. Kann man das Urea-Molekül mit guten Erträgen bei atmosphärischem Druck dehydrieren?“ Er sah sich in der Gruppe um. Einige schüttelten den Kopf. „Nein?“ Er lächelte. „Nun, Sie irren sich.“
Der Raum verdunkelte sich plötzlich. Die Luminex-Wände leuchteten auf. Paul hörte einen furchterregenden Schrei und duckte sich, als über ihm etwas vor über flatterte.
Serane lachte. „Keine Angst! Das war nur ein Pteradaktylos. Ich habe ein paar Filmausschnitte aus dem Museum entliehen. Sehen Sie? Historisch betrachtet geschah die erste Harnstoff-Dehydration bei atmosphärischen Druckverhältnissen auf biologische Weise. Von den Paläontologen wissen wir, daß es vor Millionen von Jahren geschah, als die Zeit der Dinosaurier zu Ende ging. Die langanhaltende Dürre der Kreidezeit, in der Seen und Sümpfe austrockneten, zwang die Reptilien schließlich zu einer evolutionären Veränderung. Sie mußten Wasser konservieren. Dies erforderte eine grundlegende Veränderung des Stoffwechsels. Sie schieden Harnstoff nicht mehr als wäßrige Lösung aus. Statt dessen unterzogen sie ihn einer Molekulardehydration, deren Produkt die Harnsäure war. Wir wissen das, weil allen überlebenden Reptilien dieser Stoffwechselsprung gelungen ist. Ja, heute bestehen Schlangenexkremente Gramm für Gramm aus Harnsäure, wie sie in der Natur konzentrierter nicht vorkommt.“
Die Szenerie veränderte sich. Eine gigantische Boa Constrictor hing regungslos von einem Baum herunter. Darunter trottete ein Pekari ins Blickfeld. Das Reptil ließ sich herunterfallen. Quiekend rannte das Schwein davon. „Oh, keine Sorge“, bemerkte Serane fröhlich. „Die Schlange mußte nicht ohne Abendbrot ins Bett. Sie hat den Kameramann gefressen.“
Sie lachten.
Serane fuhr fort. „Die Vorfahren der Säugetiere haben dieses Verfahren der Harnstoff-Dehydration niemals entwickelt. Noch heute scheiden Säugetiere den Harnstoff in wäßriger Lösung aus. Aber sämtliche Reptilien und ihre Abkömmlinge – vor allem die Vögel – halten sich weiter an die Harnstoff-Dehydration. Und woher bekommen wir heute Harnsäure? Von den Vögeln.“
Ein Schwarm von Albatrossen kreiste lärmend über ihren Köpfen.
Paul hörte, wie die Leute atmeten. Ansonsten war es still. Vorsichtig schaute er in die Runde um zu sehen, wie sie Serane beobachteten. Der Mann neben ihm hatte einen tragbaren Video-Recorder mitgebracht, aber das Gerät lag unbenutzt auf seinem Schoß. Er hatte vergessen, es einzuschalten.
„Die frühe chemische Industrie“, redete Serane weiter, „verdiente ihr Geld mit einer Ware, die auch heute noch fast die einzige kommerziell nutzbare Quelle für Harnsäure darstellt. Ich meine natürlich Guano. Seevögel haben auf den Inseln vor der Küste von Peru und Chile mächtige Schichten von Exkrementen angelagert, die im Laufe der Jahre ihre flüchtigen Bestandteile verloren haben und zu einer grauen Masse aus Ammoniumurat und Kalziumphosphat erhärtet sind. Und bedenken Sie: Ein Vogel kann aus Harnstoff Harnsäure herstellen, ohne dabei einen Katalysator oder eine Pyrolyse-Kammer zu Hilfe zu nehmen.
Wir sehen also“, fuhr Serane fort, „daß der Harnstoff dehydrieren will. Unsere Hochdruck-Synthese des Trialin aus Harnstoff kann man im wesentlichen als Dehydration betrachten. Wasser spaltet sich vom Urea-Molekül ab, bildet Zyanamid, welches wiederum zu Trialin wird. Dies ist natürlich eine übermäßige Vereinfachung; wir wissen alle, daß der Mechanismus weit komplizierter ist. Aber alles in allem ist es eine Dehydration.“
Paul erkannte, daß Serane seinen Vortrag offenbar vorläufig beendet hatte und nun auf Fragen und Einwände wartete. Er bemerkte, daß zwei Männer in der ersten Reihe, die er als Dr. Slav und Teidemann erkannt hatte, miteinander flüsterten. Im nächsten Augenblick richtete Dr. Teidemann sich auf und sagte mit fester Stimme: „John, wir stimmen nicht mit Ihnen über ein, wenn Sie bei der Trialin-Herstellung von einem Dehydrationsmechanismus sprechen. Wenn der
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