Der Keller
dich nicht zu verstecken – wir werden das schon schaffen“, rief Roger und kämpfte bei dabei gegen seine Tränen an. Doch seine Worte hallten nur wie Querschläger von den Wänden des Wohnzimmers wider. Von Sam fehlte jede Spur.
Roger hatte überall dort nachgesehen, wo sich sein Sohn für gewöhnlich zu verstecken pflegte – im Schrank, unter dem Bett, hinter dem Duschvorhang. Nichts. Das seltsame jedoch war, dass auch von Chico jede Spur fehlte, so als würde der Hund irgendwie spüren, wie schlimm das war, was er an diesem Nachmittag verbrochen hatte. Ja Sir, dachte Roger, es war wirklich schlimm – weit schlimmer, als auf den Teppich zu machen oder einen Schuh zu zerbeißen. Weit SCHLIMMER! Das verdammte Mistvieh hatte Lindas Tod verschuldet und Roger konnte es nicht erwarten, dem Köter dafür seinen verdammten Hals umzudrehen. Natürlich nicht gleich, dachte er. Er würde warten, bis Sam sich beruhigt hatte und der erste Schmerz über den Verlust seine Mutter abgeklungen war. Dann würde er eines Tages von der Arbeit nachhause kommen, den Hund hinter dem Haus an einen Pflock binden und ihn mit dem stumpfen Ende einer Axt erschlagen. Er würde ihm den verdammten Schädel zu Brei schlagen und ihn anschließend irgendwo verscharren und Sam würde er erzählen, dass Chico weggelaufen war und dass so etwas bei Promenadenmischlingen öfter vorkam.
Ja, das werde ich tun, dachte Roger und sah sich in der Küche um. Er ging in die Knie, um unter dem Esstisch nachzusehen: Vier Tischbeine, zwölf Stuhlbeine ein fransiger, alter Teppich – von Sam und Chico jedoch nach wie vor keine Spur. Roger drehte sich um und der Anblick traf ihn mit der Wucht eines Vorschlaghammers.
24.
Die Kellertüre stand einen Spalt weit offen, das gelbe Siegel von Sheriff Decker war in der Mitte entzweigerissen. Die eine Hälfte klebte immer noch am Türrahmen, während die andere von der Türkante hing und kurz davor war, sich ganz zu lösen.
Zwischen Tür und Rahmen erblickte Roger die Schwärze des Kellers, die sich vor ihm auftat, wie ein tiefer Abgrund. Er stand sekundenlang reglos da und blickte in die fast perfekte Dunkelheit, in der die Schatten ineinander verschwammen und immer neue Gebilde vor seinen Augen erzeugten. Der Anblick hatte etwas Hypnotisches an sich und Roger dachte plötzlich an all die Wildtiere, die im Scheinwerferlicht heranbrausender Lastwagen einfach reglos verharrten, anstatt das Weite zu suchen. Eine düstere Ahnung beschlich ihn, als würde in eben diesem Moment ein namenloses Unheil auf ihn zurasen, während er mit zittrigen Knien in diesen verdammten Türspalt starrte und es gewähren ließ. Es kam ihm so vor, als würde alles Schlechte immer nur passieren, indem die Menschen, die es verhindern konnten, tatenlos daneben standen und zusahen, so wie er in diesem Augenblick. Gleichzeitig stieg ein weiterer Gedanke langsam an die Oberfläche seines Verstandes, wie ein Bläschen in einer Sektflasche: Sam ist im Keller.
Oh mein Gott Sam. Er ist da unten! Er musste sich runter geschlichen haben, als ich mit Decker draußen in der Einfahrt gewesen war.
Dieser Gedanke war es, der Roger aus der Versenkung riss. Er schüttelte kurz den Kopf, um sich von dem Anblick zu lösen und glich dabei Mann, bei dem sich eine Wespe im Haar verfangen hatte. Er durchquerte den Raum, riss die Kellertüre auf und knipste das Licht an. Schlagartig wich die Dunkelheit in die Ecken des Raumes zurück und offenbarte Roger freie Sicht in das Untergeschoss des Hauses.
Auf den ersten Blick schien alles normal zu sein. Doch die Wonne der Vertrautheit dauerte nicht lange und keine zwei Sekunden später sah er den dunkelbraunen Fleck am Fuß der Treppe. Instinktiv wusste er, dass das es sich dabei um das Blut handeln musste, das Linda nach ihrem Sturz aus dem Ohr geflossen war. In Gedanken konnte er wieder das Knirschen hören, das ihr gebrochenes Genick gemacht hatte, als ihr Kopf zur Seite gekippt war. Tief in sich konnte er spüren, wie sein Magen sich wieder verkrampfte und dass er kurz davor war, sich erneut zu übergeben. Er wandte den Blick ab, presste die Lippen aufeinander und atmete dann tief durch, um seinen Magen zu beruhigen. Sobald der erste Anflug von Übelkeit verflogen war und sein Mageninhalt sich dazu entschlossen hatte den Rückweg anzutreten, fuhr er fort und sah sich weiter im Keller um.
Er wandte sich ein zur Seite, in Richtung des Loches, in dem es nach wie vor stockfinster war, als er plötzlich etwas
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