Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kleine Mann

Der kleine Mann

Titel: Der kleine Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
Vom Netzwerk:
ein Dirigent beim Männerchor, gab das Zeichen zum Einsatz, und sie sangen aus voller Kehle:

    >
„Ich bin der Leutnant Unsichtbar
und klettre auf den Waldemar.
Dann mach ich mit dem Jokus
im Zirkus Hokuspokus!“

    Der Kleine Mann klatschte begeistert. „Bitte, mindestens noch drei- bis viermal! Es ist ein wunderbares Lied.“
    Sie sangen, bis der Kellner klopfte, ins Zimmer trat und sich besorgt erkundigte, ob einer von ihnen krank geworden sei oder womöglich alle beide.
    „Wir sind kerngesund“, rief der Kleine Mann.
    „Wir sind nur albern“, meinte der Professor.
    Sie sangen ihm das Lied langsam vor, und dann sang der Kellner mit.
    Später kam das Stubenmädchen. Sie war noch besorgter als der Etagenkellner. Doch das ging vorbei. Zum Schluß sangen sie vierstimmig. Es klang wie ein Liederabend. Nur nicht so schön.

    Abends, als er in seiner Streichholzschachtel lag, gähnte Mäxchen, dehnte sich und sagte: „Das war also der erste Tag meiner Lehrzeit.“
    „Und der faulste“, fügte der Professor hinzu. „Ab morgen wird gearbeitet. Löschen Sie das Licht aus, Leutnant Unsichtbar!“
    „Zu Befehl, Räuberhauptmann!“ Mäxchen knipste das Licht aus. Durchs Fenster schien der Mond. Der schöne Waldemar stand mitten im Zimmer und schlief im Stehen. Minna und Emma, die zwei Tauben, hockten einträchtig auf seinem Holzkopf. Es war nicht so bequem wie auf dem Schrank, aber es war mal was andres.
    Der Professor tat seinen ersten Schnarcher. Der Kleine Mann summte leise vor sich hin: „Dann mach ich mit dem Jokus im Zirkus Hokuspokus.“ Hierüber fielen ihm die Augen zu.



8. Kapitel

Der Jokus ist ein Einzelgänger / Mäxchen als Klettermäxchen / Die vertauschten Fräcke / Die drei Schwestern Marzipan / Was ist ein Trampolin? / Galoppinski zaubert zu Pferde / Jokus von Pokus will nicht auftreten.

    Sie trainierten jeden Vormittag mehrere Stunden. Hinterher badete der Kleine Mann in der Seifenschale. Sie trainierten in jeder Stadt, wo der Zirkus Stilke gastierte. Wenn sie reisten, lag die Schaufensterpuppe im Gepäcknetz ihres Zugabteils, und sie gaben acht, daß Waldemar nicht herunterfiel.
    Sie fuhren nicht mit den unzähligen Zirkuswagen, die an einen oder mehrere Güterzüge angehängt werden mußten: den Wohnwagen, den Wagen mit den Pferden und den Raubtierkäfigen, den Wagen mit dem Zelt, den Kabeln für die tausend Glühlampen, den Musikinstrumenten, den Heizmaschinen, den Trapezen und Drahtseilen, den Plakaten und Schildern, den Kostümen und Teppichen und Stühlen und Treppenstufen und Bambusstangen und Kassenschaltern und Tierpflegern und Buchhalterinnen und Handwerkern und dem Handwerkszeug und dem Heu und dem Stroh, und auch nicht mit dem Direktor Brausewetter, seinem Zylinder und seiner Frau, seinen vier Töchtern und zwei Söhnen und den Schwiegersöhnen und Schwiegertöchtern und den sieben Enkeln und den — jetzt hab ich tatsächlich den Faden verloren... Was wollte ich eigentlich erzählen?
    Ich weiß es schon wieder. Sie reisten nicht mit dem Zirkus, sondern in Schnellzügen. Und sie hausten nicht im Wohnwagen, sondern in Hotelzimmern. Der Professor war, wie er sagte, ein geborener Einzelgänger. „Ich liebe den Zirkus sehr“, meinte er. „Aber nur, wenn er voll ist. Davon abgesehen liebe ich das Leben und das schöne Wetter.“
    „Und mich!“ rief Mäxchen, so laut er konnte.
    „Dich“, sagte der Jokus zärtlich, „dich liebe ich noch einen Zentimeter mehr als das schöne Wetter.“
    Schon nach einem halben Jahr kletterte der Kleine Mann auf dem schönen Waldemar herum wie ein Bergsteiger in den Dolomiten oder in der Sächsischen Schweiz, nur daß er nicht angeseilt war. Das war gefährlich. Denn die Schaufensterpuppe war ja für ihn so groß wie für unser-einen ein Hochhaus.
    Zum Glück war der Junge völlig schwindelfrei. Er kletterte, beispielsweise, die Hose hoch, schlüpfte unters Jackett, lief quer über den Hosenbund, hangelte die Hosenträger empor, sprang zur Krawatte hinüber, stieg in deren Innenfutter hoch wie in einem Felskamin, rastete kurz am Krawattenknoten, schwang sich dann auf den Rockaufschlag und rutschte, vom Knopfloch aus, mitten in die Brusttasche hinein.
    Das war nur eine seiner erstaunlichen Bergtouren. Die anderen will ich nicht lang und breit beschreiben. Ihr wißt ja: Was ich erzähle, das stimmt sowieso. Ich will euch auch nicht näher erklären, wozu und warum Mäxchen täglich klettern mußte. Vorläufig müßt ihr euch damit zufriedengeben,

Weitere Kostenlose Bücher