Der Knochenmann
eine gespielte Gekränktheit ist. Weil wenn heute ein Wirt so große Portionen hat, daß die Gäste damit nicht fertig werden, ist er natürlich stolz darauf.
«Zuviel», schnauft der Brenner.
«Alufolie bring ich Ihnen keine. Am Abend kriegen Sie wieder ein frisches», sagt der alte Löschenkohl. «Sie bleiben ja sowieso bei uns.»
Das ist dem Brenner jetzt aber ein bißchen zu schnell gegangen. Er hat die Chefin, die ihn gestern ganz verzweifelt angerufen hat, ja noch nicht einmal kennengelernt.
«Da muß ich zuerst einmal mit der Chefin reden.»
«Mit der Chefin?» tut der Löschenkohl, als hätte er noch nie was von einer Chefin gehört.
«Sie hat mich doch angerufen.»
«Ach so, meine Schwiegertochter meinen Sie. Ja, mit der müssen Sie auch noch reden. Ich hole sie Ihnen gleich.»
Der Alte ist aufgestanden und hat den halbvollen Teller vom Brenner gleich mit in die Küche genommen.
Aber die Chefin ist momentan nicht dagewesen.
2
Du kannst den Brenner mitten in der Nacht aufwecken und ihn fragen, wer 1976 die Olympia-Abfahrt gewonnen hat, und er wird es wissen. Weil das ist sein erstes Jahr bei der Polizei gewesen, und an dem Tag, wie die Olympia-Abfahrt war, hat er ein Hotel-Personalzimmer aufbrechen müssen. Der Eingang ist ebenerdig direkt von der Halleiner Hauptstraße in das Personalzimmer hineingegangen. Mehr so eine Waschküche ist das gewesen, wo der Kellner von der Kinobar gehaust hat.
Auf der anderen Straßenseite sind ein paar Leute vor dem Elektrogeschäft gestanden, weil auf den Farbfernsehern in der Auslage die Olympia-Abfahrt gelaufen ist. Und vielleicht haben der Brenner und sein Kollege die Tür auch deshalb so lange nicht aufgekriegt, weil sie immer wieder zu der Olympia-Übertragung hinübergeschaut haben.
Der Brenner hat sogar jetzt noch gewußt, daß sich sein Kollege die Uniformjacke an einem Blechstück aufgerissen hat. Der hat sich dann ein paar Jahre später eine Philippinin aus dem Katalog bestellt, die nur 40 Kilo gewogen hat. Seinen Namen hat der Brenner nicht mehr gewußt. Aber den Gestank, der ihnen entgegengekommen ist, wie sie die Tür endlich offen gehabt haben, wird er sein Leben lang nicht vergessen. Obwohl der Kellner von der Kinobar erst zwei Tage tot gewesen ist. Und draußen haben die Leute gejubelt, weil der Österreicher eine Bestzeit hingelegt hat, unglaublich, daß ein paar Leute so einen Lärm machen können.
Aber wie der alte Löschenkohl dem Brenner jetzt die Tür von seinem Personalzimmer aufhält, ob du es glaubst oder nicht: schlägt dem Brenner wieder genau derselbe bestialische Gestank entgegen. Vielleicht sind das damals in Hallein auch mehr die Käsesocken und die verschwitzten Kellnerhemden gewesen und weniger die Verwesung, denkt sich der Brenner und reißt das Fenster auf.
Wie er den Kopf aus dem Fenster reckt, hört er so ein lautes Surren, wie von einer Betonmischmaschine, daß er sich gleich wieder umdreht und zum alten Löschenkohl sagt: «Ihr Kühlhaus macht aber einen sauberen Lärm.»
«Das Kühlhaus ist im Zubau, auf der anderen Seite. Das modernste Kühlhaus von der ganzen Steiermark. Millioneninvestition. Die Zinsen fressen mich auf. Aber hören tust du von dem überhaupt nichts, weil alles Computer, gewaltig.»
Der Brenner hat nichts daraufgesagt, jetzt hat man das Surren um so besser gehört.
«Was Sie da hören, ist die Knochenmehlmaschine. Die hört man ein bißchen. Aber schlimmer sind die Vögel in der Früh.»
«Das glaube ich.»
«Die machen einen furchtbaren Lärm, jetzt im Frühling. Da kann ich nichts machen. Wenn Sie sonst irgendwas brauchen», sagt der alte Löschenkohl.
«Nein, ich brauche nichts.»
Der Brenner ist froh gewesen, daß der Alte endlich verschwunden ist. Er hat sich zum Fenster gestellt und einmal in Ruhe nachgedacht. Er hat zwei Möglichkeiten gehabt. Entweder das Fenster zu und der Gestank. Oder das Fenster offen und das laute Surren von der Knochenmehlmaschine.
Oder natürlich dritte Möglichkeit: auf und davon.
Aber wenn du heute wo abhauen willst, mußt du es gleich tun. Sofort auf der Stelle. Weil die Gewohnheit ist ein Hund, und am nächsten Tag kommt dir was dazwischen, und am übernächsten hast du dich schon ein bißchen daran gewöhnt. Und der Brenner hat das ganz genau gewußt. Aber das Hendl ist ihm so schwer im Magen gelegen, daß er beschlossen hat: Mache ich einmal einen Verdauungsspaziergang. Und natürlich, beim Spazierengehen hat er sich schon wieder beruhigt.
Vielleicht
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