Der König Der Komödianten: Historischer Roman
keine Gedanken machen.
Der Regen trommelte auf den Sargdeckel, und dieses Geräusch tönte mir noch lange in den Ohren, während Ernesto schimpfend den Gaul antrieb, der alle Mühe hatte, den Karren durch den Matsch in Richtung Gutshaus zu ziehen. Paulina lief derweil voraus, um den Kamin anzuheizen. Ich selbst blieb frierend und pitschnass auf dem Karren hocken, ein stechendes Pochen in meinem geschienten Bein und einen weit schlimmeren Schmerz in meiner Seele.
Zwei Wochen später war ich wegen des Beinbruchs immer noch zur Untätigkeit verdammt und konnte mich nur mühsam mithilfe von Krücken fortbewegen, weshalb ich die meiste Zeit des Tages im Bett lag, weil das deutlich bequemer und weniger schmerzhaft war, als auf einem Stuhl odereiner Bank zu sitzen oder herumzuhumpeln. Außerdem konnte ich in meiner Kammer nicht so leicht beim Heulen ertappt werden. Ich schämte mich, weil ich in diesen ersten Tagen nach Onkel Vittores Tod so oft weinen musste, und kam mir deswegen vor wie ein kleiner Junge, doch ich konnte nichts dagegen tun.
Weit schlimmer war jedoch, dabei von Paulina erwischt zu werden. Als es zum ersten Mal geschah, saß ich gerade am Küchentisch, hatte eine Zwiebel in der Hand und musste daran denken, wie sehr Onkel Vittore immer auf Zwiebeln als gesunde Speise geschworen hatte. Allein die Erinnerung daran trieb mir die Tränen in die Augen, und ich schluchzte auf. Unverzüglich ließ Paulina den Kochlöffel fahren, eilte vom Herd zu mir, riss mich in eine tröstende Umarmung und erstickte mich fast an dem phänomenalen Gebirge ihres Oberkörpers.
»O weh, mein Kleiner, was für ein schlimmes Leid! Du armer, armer Waisenjunge! Ach ja, ich vermisse ihn auch so sehr, den guten, lieben Mann!« Und schon brach sie ebenfalls in Tränen aus, übergoss mich förmlich mit der salzigen Flut, während sie mich an diese überbordende Fleischfülle presste, von der ich mir noch in der Woche davor gewünscht hatte, ihr näher zu sein. Nun, da ich sie so dicht vor mir hatte, dass es näher gar nicht ging, dachte ich nur daran, wie gern ich allein gewesen wäre, um mein peinliches Schluchzen unbeobachtet fortzusetzen.
Beim zweiten Mal verlief es ähnlich, nur dass zu allem Überfluss wegen Paulinas lautem Geheul auch noch Ernesto und der Feldknecht hinzukamen und fragten, ob sie helfen könnten.
Nach diesem Vorfall blieb ich in meiner Kammer und achtete streng darauf, dass meine Augen immer trocken waren, wenn Paulina hereinkam, um mir Essen oder frische Wäsche zu bringen oder den Nachttopf zum Säubern zu holen. Damit die Langeweile und die traurigen Gedanken nicht unerträglich wurden, hatte ich alles an Lektüre neben dem Bett gestapelt,was Onkel Vittores Bücherborde hergaben. Das meiste hatte ich schon mehrfach gelesen, sodass die Erbauung sich in Grenzen hielt, doch es war immer noch besser, als herumzuliegen und gar nichts zu tun.
Mich mit unzüchtigen Phantasien abzulenken, kam in dieser Situation nicht infrage. Ich wusste, dass es Sünde war, sonst hätte ich es nicht bei jeder Gelegenheit beichten und dafür ungezählte Bußgebete sprechen müssen, und während dieser Zeit der schrecklichen Trauer erschien es mir erst recht sündig, Unaussprechliches zu denken. Nicht einmal im Catull wagte ich zu lesen, und als ich es zwischendurch in einem Anfall besonders schlimmer Langeweile doch tat, konnte ich hinterher vor lauter schlechtem Gewissen nicht einschlafen.
An einem dieser zähen, quälenden Abende lag ich wieder einmal ruhelos im Bett, als ich von draußen Hufschlag und die Räder einer Kutsche hörte. Besuch! Eilig warf ich die Decke von mir und griff nach den Krücken, um zum Fenster zu humpeln. Ein so seltenes Ereignis wie die Ankunft einer fremden Kutsche durfte ich auf keinen Fall versäumen! Rasch rechnete ich zurück, wann es das letzte Mal vorgekommen war, und dass ich es nicht auf Anhieb wusste, war nur der Beweis dafür, wie lange es her war. Zwei Jahre bestimmt, und abgesehen davon, dass der Fremde, der uns damals aufgesucht hatte, ständig gehüstelt hatte, konnte ich mich an nichts Besonderes an ihm erinnern. Erst hinterher erfuhr ich, wer er war: irgendein Notar, der mit Onkel Vittore langweilige Erbschaftsangelegenheiten zu besprechen hatte. Damals hatte ich mich nach einem kurzen Blick auf die staubigen Akten, die er mit sich führte, rasch wieder in den Stall verzogen, wo an jenem Tag ein Schwein ferkelte, was ich mir nicht entgehen lassen wollte.
Ein paar Monate davor war ein
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