Der König der Narren
Handelsgewinne nicht zu verlieren. Das erschien ihr als höchst ungerecht.
» W enn ich Kaiserin wäre, würde ich nur Gute belohnen und die Bösen bestrafen.«
»Nun, dann ist es ein Glück, dass du nicht Kaiserin bist. Sonst wäre Phantásien gewiss schon ein Dutzend Mal vernichtet worden, während du noch auf einen Retter war t etest, d er nic h ts als ein Held sein dürfte.«
»Ich würde nicht auf einen Rett e r warten«, erwiderte Res energisch, »ich würde Phantásien selbst retten.«
Pallas lachte. »Dann hältst du dich also für gut? W ürde deine Mutter das auch von dir behaupten ? «
Da sie ihre A r m e i m m e r noch um Res gelegt hatte, um ihr beim Entwirren d er Seiden f a d en zu hel f e n , m usste sie die Hitze spüren, die Res in die Wangen stieg. Verlegen sagte das Mädchen, um abzulenken und den Treffer nicht eingestehen zu m üssen:
»Aber wie hat der Verlorene Kaiser Phantásien denn gerettet? Was für eine Gefahr war das, und wie hat er sie besiegt?«
» W ie er sie besie g t hat, das ist eine der Ungelösten Fragen, genau wie › W ie alt m üssen Alte W eise Männer m i ndestens sein, um junge Helden zu betreuen ? ‹ und › W elches Geschlecht haben Irrlichter ? ‹ Was die Gefahr betrifft, nun, da bin ich m i r auch nicht ganz sicher, aber im m erhin wissen wir in diesem Punkt etwas m ehr. Ich denke, es muss eine Seuche gewesen sein, die alle Phantasier, ganz gleich, aus welchem Reich sie stam m t en, angriff, eine Art Gliederfraß. Auf d e m Teppich gibt es Steinbeißer, den e n die Beine fehlen, und Grauhuster ohne Brustkorb.«
Etwas in Res’ Verstand m achte »K l ack«, wie ein W ebschiffchen, das so schnell durchgezogen wur d e, dass es m it dem Rah m en des Webstuhls zusam m enstieß. W enn sie nicht fast die ganze N acht darüber gegrübelt hätte und wenn ihre Gedanken nicht ständig Kobolz gelaufen und im m er wieder zu d e n Ereignissen des Vorta g s zurüc k gekehrt wären, dann wäre ihr die Ver m utung, die sie jetzt packte, vielleicht nie gekom m e n. Sie war so aufgeregt, dass s i e a ufsprang und Pallas dabei fast u m stieß.
»Tut m ir Leid«, sagte Res, »aber weißt du, Pallas, das klingt wie… sag m al, der Gliederfraß, w i e i s t d e r d ar gest e llt? W a s f ür ein Material hat die W eberin genom m e n, um die f e hlenden Stellen anzuzeigen ? «
»Gar keines«, erwiderte Pallas, und Res konnte erkennen, w i e sie sich das Kinn rieb. »Das liegt wohl daran, dass sie nie fertig geworden ist, aber an diesen Stellen besteht der T eppich nur aus den Grundfäden.«
»Und wenn Steinbeißern Glieder f e hlen«, fuhr R es fort, und jedes Wort quoll so schnell aus ihr hervor, dass sie es kaum zu Ende sprechen konnte, ehe sie das nächste begann, »kann es sein, dass auch Gegenstände auf dem Teppich nicht vollständig sind ? «
Nun erhob Pallas sich ebenfalls. Es war das erste Mal, seit Res sie kennen gelernt hatte, dass sie st a nd, und Res w ar überrascht zu entdecken, dass Pallas nicht viel größer als sie selbst war.
» W oher weißt du das ? «, fragte sie. Unruhe lag in ihrer Stimme und besch w erte sie m it einem rau e n Tonfall, der ihr die gewohnte Har m onie nah m . Doch Res war zu gefangen von der Bedeutung ihrer Entdeckung, um darauf zu achten, dass sie nun tatsächlich Pallas’ Ausgeglichenheit dur c hbrochen hatte.
» W eil es wieder g eschieht«, antw o rtete sie u n d griff nach den Händen der anderen, die bei ihren Worten zu zittern begannen. » W eil es wieder geschieht, genau jetzt!«
Das Gildehaus in S i rid o m bestand im Gegensatz zum Arachnion nur aus geraden W änden und rechtw i nkligen Ecken. Das alte Gildehaus, so erzählten es die Leute, war wie das Arachnion aus Muscheln erbaut gewesen, doch die Oberhäupter der Gilde, die gewählt worden waren, als R es’ Groß m utter jung gew e sen war, hatten angeordnet, es niederzureißen und einen neuen Bau zu errichten. Das neue Gildehaus, dessen Vorläufer bereits Res’ Mutter Krin nicht m ehr gekannt hatte, bestand aus Material von a l len Ecken und Enden Phantásiens, um die weit gespannten Handelsbeziehungen der Gilde zu verdeutlichen. Schwarze und goldene Palisaden aus dem Reich der Bibla-Sch m iede ragten in die Höhe, m it blassbraunen Gittern wetteifernd, die von den Weidenleuten gefertigt worden waren. Es war das höchste Gebäude von Sirido m ; erst vor kurzem war der Antrag gestellt worden, ein weiteres Stockwerk zu bauen, doch inzwischen hatte die Gilde andere
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