Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Sie dann über die Krönung verstimmt?«
»Ich bin nicht verstimmt. Ich bin verdrossen.«
»Warum verdrossen, Monsieur?«
»Weil die Kirche die Zeremonie maßlos in die Länge zog. Kürzer wäre sie schöner gewesen.«
»Mir fiel auf, daß Sie oft kritisch gegen unsere Heilige Kirche sind.«
»Ich verehre sie. Aber es grämt mich, daß sie in ihrem Absolutismus in der Vergangenheit katastrophale Entscheidungen getroffen hat.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel hat sie die Badehäuser verboten. Und wissen Sie, aus welchem Grund?«
»Nein.«
»Nun, in den Badehäusern wurde dem Gast von schmuckenBadefrauen der Körper mit kundigen, sanften Händen eingeseift, und wenn sie ihn dann abtrockneten, kam es vor, daß sie ihm weitergehende Dienste anboten.«
»Wurden diese Dienste angenommen?«
»Von manchen durchaus, darunter mir, aber die Mehrheit der Gäste verzichtete der Tugend halber drauf.«
»Was schließen Sie daraus?«
»Daß die Kirche die Badehäuser wegen ein paar allzu entgegenkommender Frauenzimmer und ein paar allzu heißblütiger Gäste verboten hat. Sie bedachte nicht, daß sie mit dieser Maßnahme der Reinlichkeit der Franzosen den dauerhaftesten Schaden zufügte.«
»Haben Sie unserer Heiligen Kirche noch andere Vorwürfe zu machen?«
»Leider ja. Im vorigen Jahrhundert verbot sie den Medizinern die Leichensektion.«
»Und warum war dieses Verbot so beklagenswert?«
»Aber das versteht sich doch von selbst. Wie sollten die Mediziner ohne Sektion die Organe und Funktionen des menschlichen Körpers studieren?«
»Und warum hat die Kirche die Sektion verboten?«
»Weil der Leichnam am Tag des Jüngsten Gerichts unversehrt sein sollte.«
»Unversehrt? Das kann er wohl schwerlich bleiben, ob seziert oder nicht seziert.«
»Das begriff die Kirche am Ende auch, und sie hat dieses dumme Verbot aufgehoben. Gott sei Dank wird die Sektion jetzt überall geduldet.«
»Sind Sie nicht ein bißchen streng mit unserer Kirche?«
»Wie gesagt, ich verehre sie, aber ich wünschte, sie verharrte nicht auf dem heutigen Stand. Ich finde es nicht gut, daß der König ungebildeten Zweitgeborenen aus großem Haus Bistümer anvertraut. Sie leben faul in prächtigen Palästen, manchmal sogar mit Konkubinen, bezahlen die Landpfarrer schlecht oder gar nicht, geben keinen Sous für den Erhalt ihrer Kirchen her, und trotzdem müssen die Bauern ihnen den schwer erarbeiteten Zehnten von ihren Ernten entrichten. Und was die Priesterschaft anbelangt, ist sie sehr wenig und sehr schlecht für ihr Amt ausgebildet. Ich kenne mehr als einen, der seiner Tonsur nicht würdig ist.«
»Das ist trostlos.«
»Trotzdem, sogar in diesem Jahrhundert hat die Kirche Fortschritte gemacht, dank Monsieur Vincent.«
»Und wer ist das?«
»Er hat die Barmherzigkeit neu erfunden. Als armer Bauernsohn in Pouy, Les Landes, geboren, fand er auf Grund seiner Klugheit und Gewandtheit immer wieder mächtige Gönner, die ihm ernsthafte Studien ermöglichten. Auf dem Priesterseminar war er einer der fleißigsten. Als er in Paris in den Dienst der Familie Gondi trat, entdeckte er das Elend und die Krankheiten der Armen und gab dem christlichen Evangelium wieder neuen Sinn. Er besann sich, daß die vom Herrn befohlene Nächstenliebe den Wunsch und die Pflicht einschließt, ihnen zu helfen. Zunächst wurde das barmherzige Werk des Vincent de Paul von gewissen übelwilligen Frömmlern behindert, doch schließlich überwand er alle Hemmnisse, bekehrte den Adel dazu, sammelte Spendengelder, gründete und organisierte barmherzige Missionen. Auch wenn die Salpétrière, das große Hospiz für die Armen und Bettler, nicht vom heiligen Vincent erbaut wurde, war er es doch, der diese Einrichtung inspirierte.«
***
Das Haus in Viroflay erwarb ich von einem gewissen Monsieur de Brissac, der seine Tage in seiner heimatlichen Provinz beschließen wollte, und er verkaufte mir seinen Edelsitz für einen sehr maßvollen Preis. Es war ein elegantes Haus, mit zwei Türmen, schönen Fenstern, Kaminen in jedem Raum, und wenn es erst eingerichtet wäre, durchaus behaglich. Zum Gut gehörte eine große Ferme nahebei, mit Pferden, Kühen, Schafen, Ziegen, Gänsen, Hühnern, und ein kleiner Wald, an dessen Saum ein paar Bauernkaten standen, deren Bewohner, wie Monsieur de Brissac mir sagte, »mein« waren. Ganz besonders empfahl er mir seinen Fermier und dessen Frau und riet mir herzlich, sie in meinem Dienst zu behalten. Hierauf nahm er von Catherine und mir
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