Der König von Berlin (German Edition)
Offshore-Konto sehr hilfreich für den Start gewesen. Max hatte sich zwar gewundert, warum ihr Vater überhaupt Geld auf ein Inselkonto geschafft hatte, wo er doch Berlin wegen seiner Paranoia und des sicheren Bunkers niemals verlassen hätte. Aber letztlich war das egal. Jedenfalls hatte Claire Matthes davon gewusst und ihnen Zugang zu diesem Konto verschafft. Mittlerweile konnten sie ohnehin einigermaßen von der Agentur leben. Das Werbebüro für die Läden der Insel machte sie zwar nicht reich, aber für das Leben hier genügte es allemal. Außerdem hatten sie dadurch schnell Anschluss gefunden, und jede Menge Freizeit hatten sie auch noch. So viel, dass Helmut in kurzer Zeit zum leidenschaftlichen Surfer geworden war. Wenn die in Berlin wüssten. Aber sie würden es sowieso nicht glauben …
Julia trat aus der Küche. «Wenn Marlene aus der Schule kommt, gibt es Couscous mit Huhn.»
Richtig braun war sie geworden, und Marlene war, seit sie hier lebten, nicht ein einziges Mal krank gewesen. Julia Jäger wirkte sehr entspannt.
Helmut winkte ab. «Nee, keine Zeit zum Essen, bin verabredet und möchte noch zum Riff fahren. Kümmer dich mal lieber um deinen Mann. Der hat schon wieder Sehnsucht nach der großen, dreckigen Stadt.» Er wies anklagend auf den Bildschirm.
Max brummte ärgerlich vor sich hin. «Ich hab doch schon gesagt, ich hab kein Heimweh. Aber es ist etwas passiert. Koppelberg ist tot.»
Entsetzt beugte sich jetzt auch Julia zum Bildschirm. «Der Bürgermeister? Warum?»
Max lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. «Was weiß denn ich? Sie schreiben, er habe sich versehentlich selbst in der Sauna eingeschlossen und sei dehydriert. Man geht von einem Unfall aus. Aber die Berliner Polizei hat im Moment auch sonst reichlich Probleme, weil wohl gerade zwei ihrer Kommissare in Polen vermisst werden oder so.»
Helmut schien einen Moment lang betroffen, fing sich aber gleich wieder. «Ach, was bin ich froh, dass mich das alles nichts mehr angeht. Tschüs!» Er marschierte schnurstracks zum Geländewagen.
Julia strich Max über den Kopf. «Ich finde es auch traurig, aber du solltest dir davon nicht den schönen Tag vermiesen lassen.» Max nickte, sie ging zurück ins Haus.
Schon häufiger hatte Max Machallik darüber nachgedacht, warum Frau Matthes eigentlich so viele Sekretärinnen abgelehnt hatte – aber Julia Jäger nicht. Ob sie vielleicht gar niemanden für sich gesucht hatte, sondern jemanden, mit dem er oder vielleicht Helmut gut auskäme, und zwar über das Büro hinaus? Das würde einiges erklären.
Helmut stoppte den Wagen direkt vor der Terrasse und rief hinauf: «Mir ist grad was in den Sinn gekommen: Falls es mich mal erwischt, dann will ich genau das, was ich gerade gesagt habe, auf meinem Grabstein haben: ‹Ach, was bin ich froh, dass mich das alles nichts mehr angeht. Tschüs!›» Dann lachte er und brauste davon.
Max schmunzelte. Was könnten seine letzten Worte sein? Er hatte keine Ahnung. Letzte Worte sind immer schwierig. Rhythmisch sollen sie sein, vielleicht gereimt in sanfter Fröhlichkeit, mit langen, offenen Vokalen, die noch ein wenig nachklingen. Nicht einfach. Er schüttelte den Kopf und grinste. Wozu brauchte er schon letzte Worte, ihm ging es gut, den Menschen, die ihm wichtig waren, ging es gut. Das sollte doch wirklich reichen. Es war nun einmal gekommen, wie es gekommen war. Und so, wie es war, war es wahr und wunderbar.
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Über Horst Evers
Horst Evers, geboren 1967 in der Nähe von Diepholz in Niedersachsen, studierte Germanistik und Publizistik in Berlin. Er jobbte als Taxifahrer und Eilzusteller bei der Post und gründete 1990 zusammen mit Freunden die Textleseshow «Dr. Seltsams Frühschoppen». Horst Evers ist mehrfach preisgekrönt, u.a. erhielt er den Deutschen Kabarettpreis (2002) und den Deutschen Kleinkunstpreis (2008). Seine Erzählbände «Die Welt ist nicht immer Freitag», «Gefühltes Wissen», «Mein Leben als Suchmaschine» und «Für Eile fehlt mir die Zeit» sind Bestseller. Horst Evers lebt mit seiner Familie in Berlin.
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Über dieses Buch
Der Hauptgewinn! Der junge und ehrgeizige Kommissar Lanner aus dem niedersächsischen Cloppenburg wird tatsächlich nach Berlin versetzt. Allerdings erwarten ihn dort Kollegen, die ihn als «Dorfsheriff» schikanieren, eine Bevölkerung ohne den geringsten Respekt und eine Stadt, die ihn mit ihrer anregenden Mischung aus Minderwertigkeitskomplex und
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