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Der König von Havanna

Der König von Havanna

Titel: Der König von Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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»Das sieht so leicht aus, aber ich bin zu dämlich für einen Handtaschendieb. Dabei ist die Sache ein Spaziergang, denn man muss sich nicht mit schweren Säcken abrackern, aber …«
    »Erdnüsse gefällig?«
    Eine sanfte Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Die Frau hielt ihm eine Hand voll mit Erdnusstüten hin. Er sah sie an, und sie gefiel ihm. Sie war schön dunkel, hatte einen vollen Mund, ein hübsches Gesicht, langes, blond gefärbtes Haar mit herausgewachsenem schwarzen Ansatz und war groß und sehr schlank. Trotz ihres Lächelns sah sie aus, als würde sie Hunger leiden. Und sie war sehr schmutzig. Es war klar, dass sie sich nicht gerne wusch. Sie trug alte, schäbige, Ekel erregende Kleidung und zeigte provokativ ihren Bauchnabel, obwohl der völlig rußverschmiert war.
    »Ich habe kein Geld.«
    »Ich gebe dir eine. Und du bezahlst sie, wenn du kannst. Für keinen anderen würde ich das tun, aber für dich ja.«
    »Gib her.«
    Rey nahm die Tüte und begann auf den Erdnüssen zu kauen. Sie setzte sich neben ihn. Hinter ihnen stand auf einem großen Schild an der Kirche in roten Buchstaben: »Und er ging in den Tempel und begann die Verkäufer hinauszutreiben. Lukas 19-45.« Darunter stand in schwarzen Buchstaben: »Auf den Stufen sitzen verboten. Durchgang frei lassen.«
    »Und warum nur für mich und keinen anderen?«
    »Ach«, erwiderte sie ohne Lächeln und machte eine harte Bewegung.
    »Ach?«
    »Hör auf. Ich hatte einfach Lust dazu.«
    Darauf erwiderte Rey nichts. Gegenüber im Park Maceo ließen zwei Kerle gerade Drachen steigen, schöne, große japanische Drachen mit herrlichen, bunten Zeichnungen.
    »Sieh nur, wie schön«, sagte er zu ihr.
    »Ja.«
    »Hast du das schon mal gesehen?«
    »Ja. Manchmal sind es zehn oder zwölf gleichzeitig.«
    »Ah.«
    Sie verkaufte ein paar Tüten. Eine ganze Weile schwiegen sie. Das Mädchen gefiel Rey, aber er wusste nicht, wie er es anfangen sollte. Beide waren wortkarg. Sie verkaufte Erdnüsse. Es hätte ihr gefallen, dass alle sagten: »Oh, sie singt Boleros.« Aber nein. Sie verkaufte Erdnüsse. Kokett sah sie ihn von der Seite an, und beide mussten lächeln. Sie gefielen einander, das war alles. Zwei, drei Stunden später hatte sie alle Erdnüsse verkauft. Es war Mittag. Sie ergriff die Initiative: »Kommst du mit, oder bleibst du hier?«
    »Ich komme mit.« Sie gingen die Belascoaín entlang.
    »Willst du eine Pizza?«
    »Ich habe kein Geld.«
    »Das weiß ich, du brauchst es nicht dauernd zu wiederholen.«
    Sie kaufte zwei Pizzas. Ein Stück weiter oben kaufte sie in einer Bar eine Flasche Fusel-Rum und eine Schachtel Zigaretten. Beide nahmen einen Schluck. Rey verzog das Gesicht.
    »Ahhh, reinstes Zuckerrohr! Wie heißt du?«
    »Magdalena. Man nennt mich Magda. Und du?«
    »Rey. Man nennt mich Rey, den König von Havanna.«
    »Hahaha. Das musst du beweisen.«
    »Gar nichts muss ich beweisen. Man nennt mich so.«
    Sie lachte, aber der Blick in ihren schönen, dunklen Augen unter den langen schwarzen Wimpern blieb hart. Sie wirkte wie eine wunderschöne Zigeunerin, schlank, angespannt und vibrierend wie eine Gerte.
    »Wie alt bist du, Bursche?«
    »Zwanzig. Und du?«
    »Nein, auf keinen Fall. Du bist noch keine zwanzig, Mann!«
    »Sechzehn.«
    »Dann bist du ja noch ein Kind.«
    Rey sah sie ganz ernst an und erwiderte: »Ja, ein Kind, aber mit einem solchen Riesenschwanz …«
    Und er zeigte ihr mit beiden Händen ein beachtliches Ausmaß.
    »Lass die Witze, ich glaube dir sowieso kein Wort.«
    »Das ist kein Witz, sondern die Wahrheit.«
    Schweigend setzten sie ihren Weg fort, nahmen einen neuen Schluck aus der Flasche. Rey ergriff wieder das Wort: »Und du?«
    »Ich, was?«
    »Wie alt bist du?«
    »Ach, für dich bin ich schon alt.«
    »Du musst so um die dreißig sein.«
    »Achtundzwanzig.«
    Sie gingen weiter die Belascoaín hinauf, die Reina hinunter, nach Factoría hinein bis hin zum Viertel Jesús María. Vor einem fast völlig zerstörten Gebäude wies ihn Magdalena an: »Komm hier rein.«
    Sie betraten die Ruinen und stiegen die Treppe ohne Geländer hinauf. Es war früher ein schönes Gebäude gewesen. Hier und da sah man an den Wänden noch Reste andalusischer Kacheln und große Marmorplatten sowie Reste des schmiedeeisernen Geländers. Jetzt war das Haus völlig zerstört. Mehr als die Hälfte war eingestürzt. In dem Teil, der noch aufrecht stand, waren drei Zimmer übrig geblieben, jedes mit einer Tür und einem Vorhängeschloss. Eines davon

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