Der König von Havanna
großer, sehr starker Fisch. Er schwamm ruhig und schnell und wagte sich nahe ans Ufer heran. Er streifte Rey nur einen Augenblick, aber ihm kam es vor wie eine Ewigkeit. Erschrocken richtete er sich auf. Seine Füße berührten den Sand, und er lief schnell ans Ufer.
Das Wasser reichte ihm bis zur Hüfte oder etwas darüber. Der Fisch würde Zeit haben, ihn zu verfolgen und inmitten der Dunkelheit zu verschlingen. Und Rey kämpfte. Als er endlich aus dem Wasser stieg, schlug ihm das Herz bis zum Hals und drang ihm zum Munde heraus; zitternd vor Angst warf er sich mit offenem Mund auf den Sand.
Der Strand war ein guter Platz zum Leben. Man konnte auf dem Sand schlafen, wenngleich manchmal die Moskitos unerträglich wurden. Aber nicht immer. Es waren nur wenige Polizisten da, und im Allgemeinen störten sie niemanden. In den Müllcontainern der Kioske fand man frische, appetitliche Brot- und Fleischreste. Zu alledem waren die Leute freundlich, entspannt und gaben Almosen. Ohne Heiligenfigur. Die war nicht nötig. Rey trat an sie heran, bat um etwas, und viele schenkten ihm ein paar Münzen. So verbrachte er einige Tage, spazierte am Strand hin und her, den Elementen ausgesetzt. Wenn die Sonne stach, setzte er sich in den Schatten einiger Kokospalmen. Eines Tages kamen am Nachmittag zwei abgerissene Burschen an, mager, schmutzig, nur in Shorts und ausgetretenen alten Sandalen. Einer von ihnen kletterte auf eine Kokospalme und warf acht Kokosnüsse in den Sand. Rey ging zu ihnen. Sie tranken die Kokosmilch und aßen das weiße Fleisch. Ein paar Italiener kamen, um zuzusehen, und die Burschen wollten ihnen ein paar Nüsse verkaufen. Die Italiener wollten keine kaufen. Sie sahen nur zu und grinsten. Die Burschen waren schon ungefähr vierzehn und trugen keine Unterhosen. Rey schlug sich den Magen mit so viel Kokosfleisch und -milch voll, bis es ihm zu den Ohren herauskam. Dann half er dem Angestellten einer sehr sympathischen Cafeteria,: Sie hatte die Form einer großen Cola-Dose. Und der Typ in der Dose wirkte wie eine Sodabakterie. Er verkaufte viel und brauchte jemanden, der die Plastikteller und -becher, die Bierdosen, die Servietten, die Essensreste und all die Schweinereien, die die Kunden seelenruhig in den Sand warfen, wieder aufsammelte. Dafür gab er ihm etwas zu essen. Rey gefiel dieser Job. Er sammelte den Müll ein und bettelte nebenbei um ein paar Münzen. Die Sonne brannte heiß auf ihn nieder. Manchmal verspürte er Lust, sich ins Meer zu stürzen und ein wenig zu erfrischen. Aber er traute sich nicht. Nachts legte er sich weitab vom Wasser auf eine Kartonunterlage in den weichen Sand der Dünen und schlief sorglos unter freiem Himmel in frischer Luft. So vergingen Tage, vielleicht Wochen, bis wieder – wie konnte es anders sein – die verdammte Versuchung lockte. Nicht in Form von Schlange und Apfel, sondern als Hemd mit Sonnenbrille, etwas Geld, Mütze und Gummilatschen. Alles für zwei Stunden am Fuße einer Kokospalme abgelegt. Und Rey, der der Versuchung widersteht. Sein Hemd hatte er auf der Fahrt von Matanzas her eingebüßt. Was tun? Er sammelte umherliegenden Müll ein. Er betrachtete das Hemd. Der Besitzer war bestimmt gerade schwimmen. Schließlich siegte die Schlange: Ruhig nahm er alles an sich, schnürte daraus ein festes Bündel und ging zur Straße. Jetzt musste er hier weg. Er wanderte über einen Kilometer und zählte das Geld, das er in der Hemdtasche fand. Acht Dollar. Er zog das Hemd an, setzte sich die Sonnenbrille und die neue Mütze auf. Einem Taxifahrer bot er einen Dollar. Zwanzig Minuten später fuhr das Auto durch den Tunnel der Bucht. Rey war glücklich, ausgesprochen gut drauf. »Der König von Havanna mit sieben Grünen in der Tasche, auf der Fahrt in einem Taxi, wild und schnell wie das Pferd von Guaitabóooo … tari tara«, sang er im Geiste und grinste.
In Prado stieg er aus und sagte sich: »Jetzt werde ich aber endlich Magda besuchen und sie zu Grillhühnchen, Kartoffeln und Bier einladen. Ich, der Krösus … hahaha …« Er bog in die Ánimas ein und fand eine Bar. Er fühlte sich so gut, dass er einen Schluck Rum brauchte. Er trat ein und bestellte einen Doppelten, zahlte. Mit seinem sauberen Hemd und der nicht zu übersehenden Sonnenbrille war er ein Herr von Kopf bis Fuß. Er stützte sich auf die Theke und sah auf die Straße. Da war Cacareo, ein alter Mann, halb Mulatte, halb Indio, ständig betrunken, mit einer selbst gebauten
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