Der König von Havanna
oder was ist in dich gefahren?«
»Ich habe gesagt, ich hau jetzt ab und du sollst mir nicht folgen. Und fass mich ja nicht an, sonst veranstalte ich einen Ohrfeigen-Zirkus auf deiner großen Fresse! Und dann schwärze ich dich bei der Polizei an.«
Rey wurde wütend. Er hatte Lust, sie an der Gurgel zu packen. Er bekam sich wieder unter Kontrolle.
»Lass uns reden, Magda.«
»Einen Scheiß müssen wir reden, geh mir aus den Augen!«
»Sag mir wenigstens …«
»Es ist Schluss, Rey. Du hast mich im Stich gelassen. Ich brauche einen Mann. Einen Mann! Jemanden, der mir beisteht und etwas für mich tut.«
»Aber ich kann …«
»Einen Dreck kannst du! Du bist ein Kindskopf und Hornochse! Adiós!«
Magda ging. Reys Wut ging in Bestürzung über und von da zu Traurigkeit. Plötzlich fühlte er sich allein und verlassen, ohne jeden Halt. Und er vergoss einige Tränen. Kein üppiges Weinen. Ihn befiel ein Gefühl von Leere und Einsamkeit. Ziellos lief er umher. Deprimiert, mit dem Wunsch zu sterben. Mehr als einmal dachte er: »Warum bin ich in jener Nacht am Strand nicht ertrunken?« Als er des Laufens müde war, setzte er sich in einen Türrahmen. Die Nacht war endgültig hereingebrochen. Nur wenige Leute waren zu sehen. Er machte es sich ein bisschen bequem und schlief ein. Am nächsten Morgen um sechs Uhr öffnete eine große, schlanke Frau von dreiundsechzig mit tiefschwarz gefärbtem Haar und großen Ohrringen – der ganzen äußeren Erscheinung nach eine Zigeunerin – die Tür. Sie trug einen Eimer mit Wasser und Kräutern, hatte das Zimmer ihrer Heiligen, in dem sie ihre Sprechstunden abhielt, »gereinigt«. Immer blieben Spuren, wenn man mit Toten arbeitete und tagtäglich so viele Leute zur Konsultation kamen. Das war die tägliche Routine von Daisy der Zigeunerin. Das Zimmer und das ganze Haus säubern, das Böse einfangen und es zusammen mit dem Eimer Wasser hinaus auf die Straße schütten. Das Haus parfumieren, die Heiligen mit Blumen schmücken, die Orishas mit Schnaps, Honig, Tabakrauch, irgendeiner Frucht, was immer sie wollten, begrüßen. Man musste sie bei Laune halten. Und sich auf die Konsultationen vorbereiten. Sie besaß einen bescheidenen Ruf als Kartenlegerin. Jeden Tag kamen fünf bis zehn Personen. Sie wollten unbedingt ihre Zukunft erfahren und versuchen, diese zu ihren Gunsten unter den Anweisungen und Ratschlägen von Daisy zu korrigieren, wenngleich diese immer sagte: »Ich ordne nichts an, habe sowieso von nichts einen blassen Schimmer. Es ist Rosa, die Zigeunerin, die spricht. Ich weiß nicht einmal, was sie dir sagt.«
Um ein Haar hätte sie jetzt das Wasser über Rey ausgekippt. Sie war überrascht, einen schlafenden Kerl vor ihrer Tür zu finden.
»Hey, was ist denn das hier? Geh sofort von meiner Tür weg! Los, los, weg hier!«
Rey erwachte, und sein ganzer Körper tat ihm weh. Er fühlte sich noch trauriger als am Vorabend. Es war ihm egal. Er bewegte sich nicht. Verärgert stupste Daisy ihn mit dem Fuß an.
»Los jetzt, weg von meiner Tür!«
Rey kroch etwas nach rechts, um den Türrahmen freizugeben. Dort blieb er dann auf dem Bordstein sitzen, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Daisy schüttete das Wasser aus, bespritzte ihn ein wenig. Sie sprach ihr Gebet und ging wieder hinein. Rey befand sich in einem Zustand völliger Verlassenheit. Den ganzen Tag lang rührte er sich nicht von der Stelle. Er wollte nur noch sterben. Daisy widmete sich ihren Konsultationen und vergaß den Kerl vor ihrer Tür. Gegen acht Uhr abends begleitete sie ihren letzten Kunden hinaus, eine Frau vom Lande, die ihr immer Hühner, Reis, Bohnen, Knoblauchzöpfe mitbrachte und sie überdies gut bezahlte. Daisy kümmerte sich gut um sie, und die Frau war stolz auf die Vorhersagen und Heilmittel der Zigeunerin. Daisy zündete sich eine Zigarette an, küsste ihre Kundin auf die Wange und blieb einen Augenblick in der Tür stehen, um den Rauch auszublasen und das Gehirn etwas zu erfrischen. Sie verdiente gut Kohle, war aber am Ende eines jeden Tages völlig erschöpft. Der Typ lag immer noch auf dem Bürgersteig. Sie sah ihn genauer an. Er war schmutzig, obwohl nicht schlecht gekleidet.
»Hör mal, Jungchen, findest du nicht, dass du noch ein bisschen zu jung dafür bist, hier herumzuliegen? Was ist los mit dir? Bist du betrunken?«
Rey hatte völlig abgeschaltet und keine Lust zu antworten. Er verspürte keinen Hunger mehr und keinen Durst. Hartnäckig stellte Daisy weitere Fragen. Rey
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