Der Kommissar und das Schweigen - Roman
vorgeschlagen hatte. Die Mumie von Woodstock. Rooth seinerseits hatte – möglicherweise auf Grund der herrschenden Hitzewelle – sich dazu entschlossen, seinen schütteren Bart abzurasieren, und das babypoartige Unterteil seines Gesichts stand in scharfem Kontrast zu den braun gebrannten Wangen, der Stirn und den Geheimratsecken.
Er sieht aus wie das fehlende Glied in der Kette, dachte der Hauptkommissar.
Münster schließlich sah aus wie Münster, nur mit Schweißflecken unter den Achseln, und Reinhart hatte den Hauptkommissar schon immer an das erinnert, was er wahrscheinlich in seinem tiefsten Inneren auch war: ein intellektueller Hafenarbeiter.
Und er selbst war gewiss auch keine Schönheit. Nur Glück, dass es noch innere Schönheit gibt, stellte er gähnend fest.
»Wann machen die Herren Urlaub, bitte einer nach dem anderen?« , fragte er. »Vielleicht ist das eine bessere Frage als die nach dem Rapport.«
»Am Fünften«, sagte Reinhart.
»Nächste Woche«, sagte deBries. »Ich wäre dankbar, wenn ich nicht mehr in irgendwas mit reingezogen würde.«
»Das Gleiche gilt für mich«, sagte Münster. »Aber Jung und Heinemann werden den Laden im August schon schmeißen, wenn etwas sein sollte. Zusammen mit Rooth und Moreno natürlich.«
»Sure«, stimmte Rooth zu.
»Kannst du Französisch?«, wollte deBries wissen. »Hast ’nen Fernkurs gemacht?«
Rooth kratzte sich an seinem Phantombart.
»Fuck off«, sagte er. »Altes deutsches Sprichwort. Wollen wir jetzt hier mit diesem Gelaber weitermachen oder hat der Hauptkommissar noch etwas anderes für uns?«
»Verschwindet«, sagte Van Veeteren. »Aber seht zu, dass ihr Pompers und Lutherson dingfest macht. Das weiß doch jeder Mensch, dass die das waren.«
»Danke für den Tipp«, sagte deBries.
Er verließ mit Rooth das Zimmer.
»Die Leute werden reizbar bei der Hitze«, stellte Münster fest, als die Tür wieder zufiel. »Ist ja aber auch kein Wunder.«
»Genau das hab ich ja gerade erklärt«, sagte Reinhart. »Ist noch was, oder kann ich mich zurückziehen? Ihr könnt mich ja jederzeit anrufen, wenn etwas sein sollte.«
»Verschwinde«, wiederholte der Hauptkommissar, und Reinhart trottete langsam davon.
Münster ging ans Fenster und schaute hinaus. Auf die Stadt und die Hitze, die über den Häuserdächern waberte.
»Hauptsache, wir stolpern jetzt nicht noch über einen Mord oder so was«, sagte er und lehnte seine Stirn ans Fensterglas. »Direkt vor den Ferien und so, ich kann mich noch dran erinnern, wie es vor zwei Jahren war ...«
»Sei bloß still«, unterbrach ihn der Hauptkommissar. »Wecke keine böswilligen Mächte. Übrigens habe ich für die erste Augusthälfte eine Reise gebucht ... unwiderruflich. Ich werde jede Leiche in diesen Wochen an dich und Reinhart delegieren.«
Vielleicht auch alle, die danach noch kommen, dachte er. Er streifte sich die Schuhe ab und begann lustlos in den Papieren zu blättern, die stapelweise auf seinem Schreibtisch lagen.
»Vielen Dank«, sagte Münster. »Ich bin auf jeden Fall ab Montag nicht mehr hier anzutreffen.«
Der Hauptkommissar tauschte den Zahnstocher aus und faltete die Hände im Nacken.
»Ich könnte mir eigentlich gut einen Zwei-Wochen-Fall vorstellen«, sagte er. »Gern etwas außerhalb und für mich allein.«
»Das glaube ich«, sagte Münster.
»Was?«
»Das kann ich mir denken«, erklärte Münster.
»Und was meint der Herr Kommissar damit?«
»Nichts Besonderes«, antwortete Münster. »Vielleicht draußen am Meer?«
Van Veeteren dachte nach.
»Nun ja«, sagte er. »Weiß der Teufel, nein, ich glaube, lieber an einem kleinen See. Schließlich habe ich noch das Mittelmeer vor mir ... Hat der Kommissar eigentlich seinen Schläger dabei?«
Münster seufzte.
»Natürlich. Aber ist es nicht ein bisschen zu heiß dafür?«
»Heiß?«, schnaubte Van Veeteren. »Auf Kreta haben sie eine
Durchschnittstemperatur von vierzig Grad zu dieser Jahreszeit. Mindestens. Wollen wir los, oder nicht?«
»Wenn der Hauptkommissar so lieb bittet«, seufzte Münster und trat vom Fenster weg.
»Ich lade dich auch hinterher zu einem Bier ein«, erklärte Van Veeteren großzügig. Er stand auf und schlug ein paar Pseudoschläge in die Luft. »Wenn du gewinnst«, fügte er hinzu.
»Ich glaube, da werd ich mich schon mal im Voraus bedanken«, sagte Münster.
Ungewöhnlich gute Laune, dachte er später, als sie im Fahrstuhl standen, auf dem Weg hinunter in die Garage. Richtig
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