Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kopflohn

Der Kopflohn

Titel: Der Kopflohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
Vom Netzwerk:
hatte einen alten Sack eingefärbt und sein Bettzeug überzogen. Er hatte aus illustrierten Zeitungen Bilder ausgeschnitten und an die Wand genagelt. Kößlin wußte zwar, daß er wahrscheinlich nicht länger als bis Oktober hierblieb, über die Rübenernte. Das hinderte ihn nicht, sich alles einzurichten wie für immer. Wenn Kößlin ein schadhaftes Werkzeug in die Hand bekam, er legte es ausgebessert zurück. Wo Kößlin war, da schienen sich alle Fugen zu schließen, herausgefallene Nägel in ihre Löcher zurückzuspringen. Unbegreiflich, was Kößlin all die leeren Jahre über gemacht hatte, mit solcher Art von Händen. In dem Mann war eine große, nützliche Kraft gestaut, den Zerfall des Lebens aufzuhalten in kleinen Dingen, Brettern, Sämlingen, Stoffzeug, Schindeln.
    Breideis sah unwillkürlich oft den Kößlin an, den er von der Stadt her kannte. Er hatte sich richtig hier auf dem Lande ausgewachsen. Sein braunes, ruhiges Gesicht enthielt nichts mehr von Spannung. Breideis sagte: »In acht Tagen habt ihr wieder Uniform.« Kößlin erwiderte langsam: »Das ist zweischneidig. Wir kriegen von Papen unsere Uniformen zurück. Was kriegt er dafür von uns?« Der Gruppenführer von Niederweilerbach – die Jungens saßen um ihn herum auf dem Fußboden – sagte: »Quatsch. Wir lassen uns keinen Rotz ums Maul schmieren.«
    Breideis sagte: »Schnell, weiter. Ich muß weg. Ihr inOberweilerbach werdet im Lauf des Monats eure Achtergruppe fertigkriegen. Was? Fertig. Schluß. Gruppenführer wird Kunkel.«
    Kößlin spürte eine winzige Enttäuschung. Er hatte Zug in den Ort gebracht, alles getan, was zu tun war. Er hatte vorige Woche den kleinen Algeier auch erfaßt (Paul hatte sich nach dem mißglückten Stadtgang seines Vaters endgültig überreden lassen). Nach außen war es vielleicht wirklich richtig, einen angesehenen, einheimischen Bauern zu nehmen mit Anhang, als ihn, der für die Leute nur eine Art Knecht war. Breideis hatte wohl recht.
    Alle sahen Kunkel an. Kunkels Gesicht verriet nichts. Breideis fuhr fort: »In nächster Zeit werdet ihr hier die erste Versammlung durchführen. Ihr müßt vorbereiten. Ich werde nicht bei euch bleiben. Ihr werdet jetzt von Billingen unabhängig werden. Niederweilerbach, Oberweilerbach, Botzenbach, Beuren werden zusammen den Sturm stellen. Sturmführer wird Zillich aus Botzenbach.«
    Kößlin gab es wieder einen Zug. Alle Mienen zeigten Überraschung, aber zufriedene. Kößlin sagte sich selbst, daß er Zillich wenig kannte. Zillich hatte in Botzenbach, obwohl das früher ein Rotfrontkämpfer-Stützpunkt war, überraschend schnell eine Achtergruppe aufgebracht. Er hatte eigentlich auch die Beurener Gruppe aufgebracht. Zillich war ein schwerer, gedrungener Bauer, nicht ganz jung, bartlos, kahlgeschoren, die Leute sagten, weil er rothaarig war. Er war von großer Körperkraft und bekannt als gewalttätig. Vor zwei Monaten, beim Roten Sportfest in Billingen, als ein Fichte-Auto erwartet wurde, hatte er über die Straße einen Draht gespannt. Er hatte dem Bauer Ibst, der früher zu den Roten Frontkämpfern gehörte, kürzlich ein Auge ausgeschlagen. Die Gerichtsverhandlung stand noch aus. Kößlin fragte sich, warum grade Zillich mit seinen sechs Kindern, dem es vorn und hinten nicht langte, den Ibst so wütend haßte. Kößlin dachte, Zillich haßte die Roten, weil sie ihm das Land zerschlagenwollten, nach dem sich Zillich sehnte. Er haßte sie, weil sie ihm das Vieh wegtreiben wollten, das er im Traum besaß. Er haßte sie, weil sie ihm den Herrgott auspfiffen, vor dem er manchmal die furchtbare, ihn selbst plagende Bürde seiner Gewalttätigkeit ablegte.
    Breideis sagte: »Das war unter uns gesagt. Vorbesprechung. Die Besprechungen zwischen den Gruppenführern sind in Niederweilerbach. Mittwoch abend. Material geht an euch ab.« Breideis stand auf. Alle standen auf und richteten sich. Den Leuten, die draußen vor dem Treibhaus um das Auto herumstanden, schuckerte das scharfe »Heil!« durch und durch.
    Als Breideis abgefahren war, fingen die Jungens über das Gehörte zu sprechen an. Kößlin war nachdenklich. Alles in allem konnte er Zillich doch gut verstehen. Sie hatten ihm selbst immer daheim furchtbar zugesetzt von rechts und links, auf der Straße, in der Familie, auf der Stempelstelle. Er hatte sich entschlossen. Er hatte ja nicht mit hinein gewollt in den großen Sack, sondern heraus. Drüben bei den anderen war das Schwere noch viel schwerer, noch viel verzwickter,

Weitere Kostenlose Bücher