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Der Kopflohn

Der Kopflohn

Titel: Der Kopflohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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fing jetzt zu klagen an. Aus dem Nebenzimmer rief eine Stimme: »Was gibt’s denn noch, zum Kuckuck?« Algeier klagte weiter. Jetzt kam der Besitzer selbst, er hieß nicht Kastrizius, sondern Baum, die kleine Treppe aus dem Büro herunter. Er legte seine Hände auf Algeiers Schultern, blickte ruhig unter Algeiers Hut, der etwas in die Luft stehende Bart berührte sein eigenes Kinn, und sagte leise, friedlich, wie er vier-, fünfmal im Monat mit Bauern sprach, die ihm in Ratensachen einen Prozeß andrehten: »Lieber Herr Algeier, ich kenne Ihre Sache ganz genau. Sie sind mir lieb und wert. Es tut mir leid, wie’s ist. Ich muß mein Geschäft bald selbst zumachen, mir hilft niemand,ich kann Ihnen nicht helfen. Es gibt eine Auskunftsstelle, drüben auf dem Stadthaus, Zimmer 2, Landwirtschaftliche Beratungsstelle, wenn ich nicht irre, fragen Sie lieber noch mal.« Er öffnete mit der einen Hand die Tür und knipste mit der andern das Licht aus. Algeier trat unwillkürlich in den hellen Hof.
    Er ging zwischen aufgestapelten Kisten durch das Hoftor auf die Straße, von der Straße auf den Platz zurück.
    Das Stadthaus war nach dem Krieg aus rotem Sandstein neu gebaut worden. Es hatte zwei einstöckige Flügel, einen für Polizeisachen und einen für Zivilsachen. Im Tor stand ein Polizist. Er schickte Algeier an den Aufsichtsschalter. Algeier ging nicht an den Schalter, er suchte selbst die Nummer. Er verirrte sich in den Gängen, kehrte auf die Treppe zurück und suchte von neuem. Diesmal kam er an. Der Tür gegenüber war eine Bank, auf der die Leute warteten. Algeier wußte nicht genau, wozu dieses Zimmer bestimmt war. Er setzte sich hauptsächlich, weil er müde war. Jetzt hatte er keine Angst mehr, nichts zu erreichen. Es war sinnlos gewesen, in die Stadt zu gehen, und sinnlos war es, hier herumzusitzen. Ihn dauerte die Zeit, während daheim sein Junge pflügte. Paul pflügte das abgemähte, von den Kühen vollends kahlgefressene Feld. Er pflügte zum erstenmal allein. Als er selbst seinerzeit zum erstenmal allein gepflügt hatte, da hatte ihm sein Vater auf die Schulter geklapst, und seine Mutter hatte durchs Fenster gerufen: »Mach’s gut!« Bei ihm heute morgen war alles in Hast geraten, Paul hatte mürrisch gesagt: »Na, dann mach ich’s eben allein.« Alles fiel unter den Tisch. Es gab keine Feste mehr auf Erden. Das ganze letzte Jahr hatte es immer bloß Verdruß mit Paul gegeben wegen der Kunkels. Algeier wußte genau, daß Paul zum Schluß nach eigenem Kopf handelte; grade deshalb weigerte er sich zu sagen: Tu’s in Gottes Namen. Noch gestern abend hatte dieser zähe, lustige Paul richtig losgeflennt. »Warum wollt Ihr nich, Vater?« Da hatte ergesagt: »Ich will das nich, daß mein Jung dient. Es geht uns schlecht, aber nicht, daß er dienen muß.« Da hatte Paul geheult und gestampft. »Was? Dienen? Wo?« – »Hinter dem Breideis herrennen, sich seine Kleider von Fremden bezahlen lassen, damit man für sie – « – »Damit man was?« – Algeier hatte gesagt: »Still, still!« Er hatte nicht gesagt: Tu’s in Gottes Namen. Im Grunde seines Herzens hing er mehr an Marie als an Paul. Die war so gleichmütig, immer bei der Hand. Er wußte nicht, was das war, was seine Kinder gegen ihn stellte und ihm alles zwischen den Fingern wegzog.
    Er hörte auf zu denken, er blickte sich um. Der Mann neben ihm, ein kleiner Alter mit einem farblosen Bärtchen, blickte sich gleichfalls um, sie trafen sich in einem schiefen, traurigen Blick. Der Mann erzählte sofort von seinem Schrebergarten, der plötzlich in ein Baugelände fiel. Dann erzählte er, daß man in Preußen einen Mann eingesetzt hätte, mal wieder einen Adligen. Algeier zuckte die Achseln. Um etwas zu fragen, fragte er, ob dieser Neue auch katholisch sei. »Ja, auch.« – »Ob der’s schafft?« Sie waren sich beide einig, nein, auch nicht. Jetzt waren noch vier Leute vor ihnen dran, um ein Uhr wurde geschlossen, um drei Uhr wieder aufgemacht. Er hätte ebensogut in der kleinen Schenke am Kanal sitzenbleiben können. Er saß bloß herum, weil er sich fürchtete, heimzugehen. Er stand jetzt gleichwohl auf. Er lief nach der verkehrten Seite. Statt ins Treppenhaus, kam er in einem Halbkreis nach dem linken Flügel. Er wollte schon hinuntergehen. Da fiel sein Blick auf ein großes rotes Plakat. Fünfhundert Mark Belohnung. Die Größe der Summe verblüffte ihn. Er trat näher, um zu erfahren, wodurch sie zu verdienen sei. »Der oben abgebildete

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