Der Kopflohn
Aber nur die Frau erstaunte sich. Sein Vater drehte weiter die Zunge und sagte gar nichts.
Die drei gingen zu dem Lehrer Rifke. »Herr Rifke, geben Sie ’ne Mark oder zwei für den Wahlfonds der Nationalsozialisten.«
»Kann ich doch nich, Jungs. Das wißt ihr doch.«
»Herr Rifke, es kommt aus diesem Zimmer nicht raus, Ehrenwort.«
Rifke krümmte sich. Gab er was, schadete er sich vielleicht für heute. Gab er nichts, schadete er sich vielleicht für morgen.
Aber heute war unzweifelhaft heute.
»Jungs, ’n andres Mal. Nichts für ungut. Nach dem Fünfzehnten hat ein Beamter auch nichts übrig. Guten Abend, Jungs. Heil!«
Sie gingen zu Merzens. Bevor sie noch geklopft hatten, kam der junge Merz den Feldweg herunter. »Halt, halt! Zu meinem Vater braucht ihr gar nicht erst reinzugehen.« – »Und du?« – »Nach der Hochzeit. Nach der Hochzeit, da bin ich mein eigner Herr, da bin ich euer Mann. Nach der Hochzeit.«
Sie gingen weiter. Im ersten Haus hatten die Menschen noch bei Tageslicht gearbeitet, in der Mitte der Gasse hatten sie gegessen, im letzten Haus deckte die Bäuerin schon ihre Kinder zu.
II
Auf dem Platz vor dem Wirtshaus standen Frauen, Kinder und ganz wenige Männer, weil fast alle Männer drin waren und der Rest nicht gesehen werden wollte, um die zwei großen Lastautos und Breideis’ Privatauto herum. Vor der Tür hing eine mächtige Hakenkreuzfahne, mit ihrem untersten Eck die Erde berührend, während sie mit dem obersten über das Dach hinausragte. Der abendlichen Dorfgasse waren klitsch, klatsch drei Fahnen aufgestempelt. Für die Augen der Kinder, die erstaunt in das plötzlich veränderte Dorf hineinsahen, hatten die großen Kreuze etwas Zupackendes, Einschnürendes, Hände an den Armen.
Drin hatte der Wirt die Tür zu seinem eigenen Zimmer zuerst nicht aushängen wollen – dann aber hatte ihm Breideis zwei Mark gegeben.– Der war auf die Minute pünktlich, eine Viertelstunde vor Anfang. Kößlin erklärte ihm schnell alle für seine Rede notwendigen, das Dorf betreffenden Punkte. Manchmal hob Kößlin den Blick und sah in die Wirtsstube, in der die Stühle reihenweis standen. Es war gedrängt voll. Seine Vorbereitung war richtig gewesen: Die Fahnen, die Plakate, die Flugblätter, die Sammlung gestern abend, wo sie alle noch mal durchgerüttelt wurden, der Name des Abends: »Wer hilft dem deutschen Bauern?«, die Wahl der Redner, der alte Breideis aus der Stadt und Zillich aus Botzenbach. Viele Bauern waren schwarz wie zur Beerdigung, manche hemdsärmelig. Die aus den übrigen Dörfern zugezogenen Jungens füllten einen großen Teil der Wirtsstube. Die Bauern waren aus Neugierde gekommen, jetzt waren sie benommen. Es mußte doch hinter diesen Jungens eine ordentliche Macht stehen, die sie in solchen schweren Zeiten also einkleidete und fest beschuhte. Schon bei diesem Anblick dachten manche, ob es ratsam sei, den Söhnen etwas beharrlich abzuraten, was ihnen vielleicht Nutzenbrachte. Es waren wenig Frauen da. Niklas’ Braut war gekommen und Kunkels Schwester, außerdem die Marianne Seidel – sie war Hebamme, sie hatte vor zwei Jahren einen Entbindungskurs in der Stadt mitgenommen. Außerdem war zufällig die Neugebauer gekommen. Die andern rückten von ihr weg. Schon hatte jemand aus Versehen oder mit Absicht Bier über ihr Kleid geschüttet.
Kunkel trat neben den Breideis. Er hatte sich zuerst vor der Versammlung gescheut. Da aber nun Breideis selbst der Wahlkampagne wegen auf die Versammlung gekommen war, wußte er, daß sie ihm, wenn er so neben dem Heinrich Breideis stand, zumindest keinen Schaden brachte. Er begrüßte ruhig die Ortsansässigen mit Sätzen, die er sich vorher mit Kößlin zurechtgelegt hatte. Er merkte wohl, daß manche Bauern lächelten. Dem alten Merz zuckte der Bart. Kunkel fuhr es durch den Kopf: Wird der aus meinem Treibhaus zur Hochzeit bestellen?
Breideis trat schnell neben ihn. Er fuhr in seinem Auto jeden Abend über Land. Sie hatten sich auf Kurzreferate festgelegt. Auf diese Weise sprach er an jedem Abend auf mindestens fünf Dörfern. Er war seit zwanzig Jahren durch den Milchverband gewöhnt, mit Menschen zu reden. Er war übrigens aus dem Milchverband ausgetreten zu Beginn der Wahlkampagne. Sein linker Arm war steif durch einen Oberarmschuß, so daß er redend nur den rechten bewegte. Er schlug mit der rechten Faust in kurzen Abständen die Programmpunkte auf den Tisch, so wie er es fünfmal hintereinander heute abend in fünf Dörfern tat.
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