Der Kopflohn
Sie gingen durch das Stadttor, durch die Anlagen, Kößlin sagte: »Warum so hintenherum, Johann, die ganze Zeit über? Ich hätte dich nicht gefressen.«
Johann sagte: »Man sieht nicht an, wer wen frißt.«
Kößlin sagte: »Man hat auch dir nichts angesehen.«
»Ansehen. Man kann niemand von innen nach außen umstülpen.«
Kößlin sagte: »Ich habe schon früher manchmal daran gedacht, daß du rot bist. Du bist in der Partei, was?«
»Nein, das nicht. Aber rot bin ich.«
»Ich kann das von dir nicht verstehen – « (Er muß mich aber verstehen, dachte Johann, muß, muß mich verstehen. Sonst kann’s schlimm werden.)
»Du mußt mich aber verstehen, Kößlin.« Er brach ab und dachte nach. Kößlin spürte, daß er nachdachte, und wartete gespannt.
Beide waren im Nachdenken gestört durch ihr Herzklopfen. »Du kommst doch so nicht weiter, Kößlin. Was der Kunkel will, ist das Gegenteil von dem, was du willst. Er will’n Knecht, ’nen billigen Knecht. Willst du ein billiger Knecht sein?«
»Immer noch besser ’n Herr und ’n Knecht. Das ist doch ’ne Ordnung, das ist doch was Festes. Immer noch besser als zwei Nichtmalknechte, als zwei Garnichtse. Immer noch besser, als was ihr wollt. In alles ’nen Keil rein, daß nichts ist als ’ne große Unordnung, und dann ’ne große Walze rüber.«
»Ja, ’n Keil rein zwischen dem Kunkel und dir, keine eisernen Zwacken dem Kunkel in den Hintern, daß er für ewig im Sattel sitzt.«
Sie kamen an den Wald. Johann merkte an KößlinsAtem, daß er nachdachte. Sie schwiegen fast so lange, als der Wald dauerte. Aber ihr Schweigen würgte sie wie steinerne Worte.
»Das ist doch kein Leben«, sagte Johann, »oder ist es eins?« – »Besonders ist es nicht.« – »’n Schlag vor die Brust dem, der sich gegen den Prolet stellt, und ’n Schlag ins Genick dem, der ihn falschrum führt.«
»Ich bin kein Prolet. Ich nicht.«
»So? Wirklich? Bist du nicht mal ’n Prolet nich mehr? Für mich ist das, daß ich ’n Prolet bin, das, was man mir nicht hat wegnehmen können in dem großen Sudelzober; für mich ist das, daß ich ’n Prolet bin, das, woraus ich denk, wenn mir’s sauschlecht geht, wie mir’s jetzt geht, daß es mir daraus wird besser gehen.«
»Daß nämlich einer von jemand der Knecht ist und auch von jemand der Kamerad ist, das geht in deinen Kopf, Johann, nicht rein.«
»Nein, das geht in mich nicht rein. Sie haben dir ein Hemd geschenkt, und du hast ihnen deine Haut dafür geschenkt. Laß dich doch nicht anschmieren. Biste denn blind? Kriegst ’n Knopf und dankst für ’n Taler.«
Als sie aus dem Wald herauskamen, hörten sie unvermutet die glucksende Melodie einer ungeheuren Drehorgel: das Karussell auf der Schafswiese. Ihre Gesichter wechselten von Belustigung in Stirnrunzeln. Als sie näher kamen, hörten sie den Lärm der Hochzeitsgesellschaft, die nach dem Essen auf den Karussellplatz gekommen war. Kößlin erkannte Kunkel und zuckte zusammen. Er blieb stehen und gab Johann die Hand. »Hätten noch viel zu sprechen.« – »Haben ja erst angefangen.«
Johann lief heim. Er merkte flüchtig, daß Bastian in einer ungewohnten, untätigen Haltung hinter dem Tisch saß, die Hände vorm Gesicht. Johann zitterte vor Ungeduld, daß Bastian endlich wegging und ihn mit seinen Gedanken allein ließ. Es fiel ihm nicht auf, daß Bastian nichteinmal nach Kastrizius fragte. Es fiel ihm nicht auf, daß Bastian schließlich die Hände vom Gesicht zog und ihn mit einem hastigen, hungrigen Blick ansah, gierig auf Ansprache. Johann hockte auf dem Boden und machte sich an dem Rucksack zu schaffen, der seinen Platz unter Doras Bett hatte, in dem jetzt die zwei Nächstältesten schliefen. Bastian schlich sich davon. Johann stand auf. Er sah sich verwundert um. Jetzt erst kam ihm in den Sinn, wie trostlos Bastian dagehockt hatte. Es fiel ihm auch ein, daß er in den Stall mußte, weil Bastians eingeladen waren. Er erblickte das mittlere Kind, das man immer allein zurückließ, weil es seiner Schwäche halber keinen Schaden anrichtete. Es war in die Tür gerutscht und spielte, seinen schweren Kopf auf der Schulter, mit einem in tausend Fäden zerfusselten Baststreifen. Wo waren die übrigen Kinder? Vielleicht hatte sie Dora bei sich behalten dürfen. Er riß sich zusammen. Aus irgendeinem Grund dachte er, Kößlin würde selbst noch heute heraufkommen. Er wollte jetzt seine Schuhe ausziehen und seine Schlappen anziehen und in den Stall gehen. Er bückte
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