Der globale Polizeistaat
Vorwort
»Der Staat schützt die Freiheitsrechte der Bürger«, sagt Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Empörend ist nicht, wenn ein Innenminister so etwas sagt, er muss das sagen. Empörend ist, dass kaum noch jemand ihm widerspricht. Unter der von ständig neuen Warnungen wach gehaltenen Furcht vor Terroranschlägen islamistischer Gewalttäter ist das Verhältnis zwischen Bürger und Staat zunehmend von beaufsichtigender Fürsorge geprägt. Freiheit wird überwiegend zum staatlich gewährten Gut oder zum Reflex staatlich organisierter Sicherheit. Dieses Freiheitsverständnis ist konträr zu der Idee des demokratischen Rechtsstaates, der Freiheitsrechte als Schutzrechte gegenüber Eingriffen des Staates statuiert.
Mit diesem Buch widerspreche ich dem Innenminister. Die Furcht vor dem Terror ist geeignet, die Grenzen des Rechtstaates, die Funktionsfähigkeit der Demokratie, ja die Grenzen des staatlichen Gewaltmonopols zu zerrütten. Wo die Politik behauptet, dass angesichts der Bedrohung durch den internationalen Terror innere und äußere Sicherheit verschwimmen, verwischt sie die Zivilisationsgrenze zwischen Krieg und Frieden und legt so das Fundament für einen rechtlich ungezügelten Weltpolizeistaat. Wer zwischen Verbrecher und Feind nicht mehr richtig unterscheiden kann, macht ein Gefangenenlager wie jenes in Guantanamo zur Option auch im Staat des Grundgesetzes.
In vier Untersuchungen legt dieses Buch dar, vor welche Herausforderungen die terroristische Bedrohung die Staatenwelt und ihre echtsordnungen stellt; wie Amerika und Deutschland bislang versucht haben, diesen Herausforderungen mit ihrem Recht zu begegnen; wie die Staaten versuchen, das Völkerrecht
und insbesondere das Kriegsrecht für ein gemeinsames Vorgehen gegen Terroristen umzubauen; welche Konsequenzen und Möglichkeiten sich für ein geordnetes nationales und internationales Vorgehen gegen die terroristische Bedrohung abzeichnen.
Der deutsche Innenminister hat wiederholt betont, es gebe für die Probleme, vor die uns weltweit agierende Terrornetzwerke stellen, keine einfache Lösung - wichtig sei ihm, »dass eine öffentliche Diskussion darüber beginnt«. Er soll sie haben.
Dieses Buch handelt vom Recht, es ist aber nicht speziell für Juristen geschrieben. Damit es jedoch auch vor Lesern mit rechtswissenschaftlichem Anspruch bestehen kann, verweisen Fußnoten, wo mir dies sinnvoll erschien, auf wissenschaftliche Belege für meine Behauptungen oder auf weiterführende Literatur. Dort, wo ich allzu Erstaunliches berichte, nenne ich, den Unglauben des Lesers zu mildern, meine Quellen. In vielen Fällen, in denen ich Informationen aus vertraulichen Gesprächen oder vertraulichen Unterlagen habe, muss ich den Leser bitten, mir einfach zu glauben. Das Buch basiert auf Informationen über die Welt, wie sie sich bis Ende Februar 2009 gezeigt hat.
Wenig wären diese Informationen wert gewesen ohne die lehrreichen Gespräche, die ich während der letzten Jahre für meine erichterstattung im SPIEGEL und zur Vorbereitung dieses Buches mit erstrangigen Wissenschaftlern, Staatsrechtlern und Völkerrechtlern führen durfte. Mein Dank gilt insbesondere den Professoren Erhard Denninger, Frankfurt, Dieter Grimm, Berlin, Claus Kreß, Köln, Bernhard Schlink, Berlin, Michael Stolleis, Frankfurt. Dem deutschen Innenminister Wolfgang Schäuble danke ich für die Geduld, mit der er die Diskussionen mit mir ertrug - und für seine Offenheit. Das Buch widme ich gleichwohl nicht ihm, sondern meiner ersten und wichtigsten Leserin, meiner Kollegin und Ehefrau Helene Zuber.
Hamburg, im Februar 2009
Thomas Darnstädt
Erster Teil
DER FEIND
Schritte zu einem zivilen Weltgewaltrecht
Erstes Kapitel
Die unheimliche Bedrohung
Von wo sie auch kommen, sie werden erwartet. Tag und Nacht, jede Sekunde, starren fünf Männer in den Himmel über Deutschland, um Alarm zu schlagen, wenn es so weit ist: »Renegade«. Das ist der Name für die dunkle Bedrohung. Renegade: Ein Flugzeug weicht von seinem Weg ab und nimmt Kurs auf ein Atomkraftwerk oder den Reichstag. Mit »Renegade« begänne der 11. September in Deutschland. Die fünf, den Himmel auf ihren Computerbildschirmen vor Augen, rechnen jede Sekunde damit. Hier, im niederrheinischen Uedem, wird der Krieg gegen den Terror geführt.
Wer kennt schon Uedem? Das Backsteinstädtchen beherbergt, am Ortsausgang den Feldweg rauf, das »Nationale Lage- und Führungszentrum Sicherheit im Luftraum«. Bei den
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