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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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Gelehrte hatte gelernt, dass man sich nicht von Äußerlichkeiten täuschen lassen sollte. Hinter Dreds grausiger Fassade versteckte sich ein gebildeter Mann von nicht zu unterschätzender Intelligenz.
    Nachdem der Bucklige ihn eingelassen hatte, gingen sie den schmalen Kiesweg zum Haus hinauf, das ursprünglich ein Kloster gewesen war. Bereits vor der Erbauung Karlsruhes war es aufgegeben worden, und Raban hatte es unter Einsatz von viel Geld renoviert, ohne dabei den alten Charme der zahlreichen, steinernen Türme und Giebel zu zerstören.
    »Ich muss Euch unbedingt einen Brief von Sir Gallam zeigen«, sagte Dred mit unverkennbarer Aufregung in der Stimme. »Ihm gelang ein bahnbrechendes Experiment, indem er Oleum antimonii über mehrere Stufen reinigte und dann in der dritten Stunde des Vollmondes mit den sieben Elementen vereinte. Laut seinem letzten Bericht aus Indien wirkt es wahre Wunder gegen das Schwarze Fieber.«
    »Aber behauptet nicht Vincenze Dari, dass das Schwarze Fieber auf Miasmen im Erdreich zurückzuführen sei?«, fragte Icherios interessiert. Dred wusste über viele Bereiche der Medizin noch immer mehr als er selbst.
    Bis sie das Haus erreichten, waren sie so in das Gespräch vertieft, dass sie in der weitläufigen Eingangshalle weiterdiskutierten, bis Louise, Rabans Hausmädchen, sie unterbrach und Icherios aufforderte, ihr zu folgen.
    Dred senkte den Kopf. »Ich habe Euch zu viel Eurer Zeit gestohlen, verzeiht.«
    Der junge Gelehrte lächelte ihn aufrichtig an. »Es war mir wie immer ein Vergnügen, mit Euch zu plaudern.« Dann verbeugte er sich tief und folgte Louise durch einen breiten Gang in das Speisezimmer des Anwesens, dessen Wände von dunkelgrünen Stofftapeten mit goldenen Bordüren geziert wurden. An der hohen weißen Decke prangten üppige Stuckverzierungen, und die Ecken waren in helles Gold gefasst.
    Raban saß an einem runden Eichenholztisch, dessen Oberfläche mit wirren Mustern bemalt war und Platz für ein Dutzend Gäste bot. Er hielt einen Kelch in der Hand. Wie üblich trug er ein robenartiges Gewand aus schwerem, dunkel­rotem Samt, eine dicke Goldkette mit einem schlichten, aber dafür umso größeren Kreuz und zahlreiche edelsteinbesetzte Ringe. Obwohl von seinem schwarzen Haar, das selbst im Alter kaum ergraut war, nur ein Haarkranz übrig geblieben war, fiel es stark gelockt bis zu seinen Schultern. Das Auffälligste an ihm war allerdings sein mächtiger Bart, der, ordentlich gestutzt, bis hinunter zu seiner Brust reichte.
    Icherios deutete auf den Kelch in Rabans Hand. »Blut oder Wein?«
    »Wein. Ich bin doch kein Barbar.« Der alte Vampir musterte ihn. »Ihr habt Euch verändert. Daran ist nicht nur der Biss schuld.«
    Die Worte trafen Icherios in ihrer Unverblümtheit. »Ich hätte Euch nie davon berichten sollen.«
    Bei seinem letzten Auftrag war er von einem Vampir gebissen worden. Seither breitete sich in ihm die Saat des Bösen aus, oder, wie er noch immer hoffte, die Krankheit. Eine Tatsache, die er bisher nur seinem Mentor anvertraut hatte. Der Biss hatte ihn in einen Strigoi verwandelt, ein Mischwesen aus Vampir und Mensch. Das bedeutete, dass er sich fortan in jeder Andreasnacht, der letzten Nacht im Oktober, und auch nach seinem menschlichen Tod in eine rasende Bestie verwandeln würde. Deshalb war es unabdingbar, dass man ihm mit seinem letzten Atemzug den Kopf abschlug und einen Pflock durch sein Herz rammte. Icherios trug die­se Anweisungen seitdem ständig auf einem Stück Papier in seiner Brusttasche mit sich herum.
    »Nun ist es zu spät«, erwiderte Raban ungerührt.
    Icherios setzte sich dem Vampir gegenüber hin. Auch wenn er innerlich vor Nervosität zitterte, bemühte er sich um äußerliche Gelassenheit. Eines hatte er gelernt: Vor Blutsaugern durfte man keine Schwäche zeigen.
    »Ihr habt mich gerufen?«
    »Freyberg informierte mich, dass Ihr beabsichtigt, nach Heidelberg zu gehen.«
    Als Icherios ihm nicht antwortete, fuhr er fort. »Was ist mit der Andreasnacht? Euch bleiben nur wenige Tage.«
    »Ich werde mich einschließen und fesseln.«
    Der Vampir stand auf und lief im Raum auf und ab. »Ihr werdet nicht allein leben. Heidelberg ist eine dicht bevölkerte Stadt. Denkt Ihr wirklich, dass Ihr in einem Studentenzimmer oder gar im Magistratum unbemerkt wüten und toben könnt, ohne dass jemand Fragen stellt?« Raban blickte ihn eindringlich an. »Ihr habt keine Ahnung, wie stark und blutgierig der Strigoi sein wird. Was, wenn Ihr

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