Der Kraehenturm
ausbrecht?«
»Geht es nur darum? Oder habt Ihr etwa Angst, dass Euer eigenes Geheimnis auffliegen könnte?« Der junge Gelehrte glaubte nicht, dass es Raban nur darum ging, da musste noch etwas anderes dahinterstecken. Sowohl Freyberg als auch der alte Vampir verfolgten eigene Ziele, und er war sich nicht sicher, ob er in ihre Pläne verwickelt werden wollte. Allerdings war es für solche Überlegungen wohl zu spät. Man hatte ihn in einen tiefen Brunnen geschmissen, und nun musste er zusehen, wie er überlebte.
Raban schüttelte den Kopf. »Wollt Ihr das Risiko eingehen, einen weiteren Menschen zu töten? Könntet Ihr damit leben?«
»Wie könnt Ihr es wagen?«, zischte Icherios, während sich zugleich das flaue Gefühl von tiefer Schuld in seinem Magen ausbreitete. Bei seinem letzten Auftrag war er gezwungen gewesen, einen Mann zu töten. Niemand bezichtigte ihn des Mordes, dennoch fühlte sich Icherios wie ein Mörder. Er hatte ein Leben beendet. Diese Tatsache lastete schwer auf seiner Seele.
»Mir liegt nur Euer Wohl am Herzen.«
»Ihr seid ein Vampir. Was kümmert Euch das Schicksal eines Menschen?«
Raban legte auf seltsam echsenartige Weise den Kopf schief und musterte ihn. »Auch Vampire können sich Sorgen machen.«
Unwillkürlich tauchte Carissimas Antlitz vor Icherios’ Augen auf, eine wunderschöne Vampirfrau, der er bei seinem letzten Aufenthalt nähergekommen war. Sie war temperamentvoll, hungrig nach Leben – bei ihr hegte er keinen Zweifel am Vorhandensein von Emotionen. »Wenn es Eure einzige Sorge ist, dass ich in der Andreasnacht in Schwierigkeiten geraten könnte, kann ich Euch versichern, dass ich ausreichende Vorkehrungen treffen werde.«
»Kommt wenigstens in dieser Nacht nach Karlsruhe zurück. Ich werde über Euch wachen.«
Icherios goss sich Wein ein und nippte an dem trockenen Rebensaft. »Ich werde es in Erwägung ziehen.«
Doch Raban war offensichtlich nicht bereit, es damit auf sich beruhen zu lassen. »Am besten wäre es, wenn Ihr hierbleiben würdet, um an einem Heilmittel zu arbeiten, bevor Ihr Euch von Freyberg durch die Weltgeschichte schicken lasst.«
»Erst sorgt Ihr dafür, dass ich in die Kanzlei aufgenommen werde, und nun wollt Ihr mich davon überzeugen, dass ich meine Stellung dort aufgebe?«
»Die Dinge haben sich geändert. Das wisst Ihr ebenso gut wie ich. Und glaubt Ihr wirklich, dass Freyberg nur Euer Bestes im Sinne hat? Auch er hat seine Geheimnisse.«
Icherios stand auf. »An Geheimnisse bin ich inzwischen gewöhnt. Ich werde über Euren Vorschlag nachdenken, aber nun entschuldigt mich bitte. Ich habe zu packen.«
»Nun gut«, Raban senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Aber hütet Euch vor dem Leiter des Magistratum. Er und Freyberg sind alte Feinde. Lasst Euch nicht in diesen Konflikt hineinziehen.«
Der junge Gelehrte nickte ihm steif zu, bevor er wortlos ging.
3
In schwarzen Nächten
G
19. Octobris, Karlsruhe
Z urück in seiner Wohnung fuhr Icherios fort, seine Sachen zu packen. Dabei gingen ihm allerdings so viele Fragen durch den Kopf, dass er sich nicht konzentrieren konnte und ständig etwas Falsches in die Koffer legte, nur um es einen Moment später wieder herauszunehmen. Vor allem Freybergs Hinweis auf Vallentin beschäftigte ihn. War es möglich, dass er endlich erfahren konnte, was in jener unglückseligen Nacht passiert war? Was wusste Freyberg wirklich? Kannte er die Lösung zu dem Rätsel um Vallentins Tod? Icherios fühlte sich verraten, benutzt und so alleine wie nie zuvor. Einzig Maleficium war ihm als Freund geblieben, aber nur mit einer Ratte zu sprechen, konnte nicht gut für die geistige Gesundheit sein.
Nachdem er einen Glaskolben und einen Mörser zerbrochen hatte, weil seine zittrigen Hände nicht seinen Anweisungen gehorchten, beschloss er, zur Beruhigung etwas spazieren zu gehen. Zuvor holte er aber aus einem kleinen, roten Lederbeutel einen Ring hervor mit einem großen, schwarzen Obsidian in goldener Fassung, auf dem die Monas Hieroglyphica, das Erkennungssymbol des Ordo Occulto, in ebenfalls goldener Schrift eingelassen war, und steckte ihn an seinen Finger. Freyberg hatte ihn für Icherios anfertigen lassen, nachdem er seinen ersten Auftrag erfolgreich abgeschlossen hatte. Er war nun offiziell ein Mitglied des Ordo Occulto, auch wenn es ihm seltsam anmutete, sich mit dem Ring zu schmücken, und er ihn ständig vergaß.
Auf der Straße roch es nach Fäkalien, schmutzigen Leibern und Dreck. Trotzdem haftete
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