Der Krankentröster (German Edition)
blickten mich an und rannten in meine Arme. Sie streichelten alle begeistert über meine Glatze, und Bennet sagte: »Ich hab doch gesagt: ›Wie Lord Voldemort!‹ Und ich kitzelte ihn. Es war alles vergessen, wie er am Bett geweint hat, als er gehört hatte, dass ich ein halbes Jahr fort bleiben muss, und die Angst, die Mutter zu verlieren. Denn wenn wir alle etwas gelernt haben, ist es, dass es einem zwar während einer Chemophase richtig schlecht ergehen kann, aber dann auch alles wieder gut wird. Wir schwammen im Pool, und ich hatte einen Wahnsinnsappetit und aß und aß. Und das Lustige war, dass alle mit meinem Kopftuch dachten, dass ich orthodoxe Jüdin sei, und mich verwundert anblickten, wenn ich Schweinefleisch bestellte. Da lachten wir dann immer zusammen. Ach, wie war es schön. Mit unseren Freunden am Meer zu sitzen, gut zu essen und zu lachen. Doch es waren leider nur drei Tage, und dann flogen wir wieder nach Hause, und ich fuhr direkt ins Krankenhaus.
Im Arztbericht stand, dass ich in einem hervorragenden Allgemeinzustand war, als ich wieder ins Krankenhaus zurückgekommen war, und so fühlte ich mich auch. Hervorragend! Doch die größte Angst war für mich nicht, dass es mir wieder so schlecht gehen würde, sondern dass ich wieder keinerlei Privatsphäre hätte und wieder Ekel sowie auch Scham empfinden würde, wenn andere sehen, wie schlecht es mir geht. Da kam gerade die Krankenhauspsychologin den Flur entlang, während ich auf mein Zimmer wartete, und wir gingen zusammen einen Kaffee trinken. Und da konnte ich ihr zum ersten Mal erzählen, wie belastend für mich die letzten sechs Wochen im Krankenhaus waren. Denn vorher lag ja immer die Frau neben mir, wenn sie mich besuchte, und da kann man ja nicht als höflicher Mensch sagen: »Die Frau neben mir redet ununterbrochen!«
»Passen Sie auf«, sagte sie. »Ich bekomme jetzt einen Redeschwall und Sie müssen mich stoppen.« Und dann fing sie an zu erzählen, und egal, was ich sagte, sie redete weiter. Man muss es sich so vorstellen:
Ich: »Äh, Entschuldigung, ich muss jetzt mal meinen Mann anrufen, er hat mir gerade eine wichtige E-Mail geschickt.«
Sie: »Ach, was arbeitet denn Ihr Mann? Wohnt der auch in München … Mein Mann kommt aus Stuttgart …«
Ich: »Es tut mir leid, ich bin etwas müde. Ich muss mal die Augen zumachen.«
Sie: »Ja, bei dem Wetter kann man auch nur müde sein. Ich konnte heute Nacht auch ganz schlecht schlafen. Die Schwester wollte mir ja eine Schlaftablette geben …«
Also, ich hatte es nicht geschafft. So erklärte sie mir, dass man höflich, aber ganz bestimmt das Gespräch beenden muss und nicht mehr auf das Nachfolgende eingehen darf. Und, sagte sie grinsend, was eigentlich immer hilft: »Fangen Sie an, von sich zu erzählen. Das langweilt solche Leute nämlich ziemlich schnell, und sie beenden das Gespräch.«
Zudem gab sie mir den Tipp, dass man einen Paravent zwischen die Betten stellen kann und sich Toilettenauflagen aus Papier besorgen könnte. Und die allerschönste Überraschung für mich war, dass sie mit der Oberärztin redete und für mich organisierte, dass ich die nächsten Wochen in ein Einzelzimmer gehen durfte. Und da lag ich. Schaute Fernsehen, wann ich wollte, telefonierte, wann ich wollte. Sang unter der Dusche und führte Selbstgespräche. Herrlich! Und da war es auch nicht so schlimm, dass sich multiple Thrombosen gebildet hatten und meine beiden Arme bandagiert werden mussten oder ich wieder Fieberschübe bekam. Denn irgendwie war ich mir sicher, dass ich das überstehen würde. Aber die Geschichte geht natürlich weiter. Doch für heute reicht es erst mal.
Liebe Grüße
Gaby
Hallo Gaby,
am meisten hat mich beeindruckt, wie Du diese haarsträubenden Geschichten, die man seinem ärgsten Feind nicht wünscht, furztrocken erzählst, man noch lachen muss über die wirklich komischen Bilder wie das mit der kackenden Nervensäge neben Deinem Bett, und Du riechst nur vornehm an der mitgebrachten Seife Deiner Tochter, anstatt ihr die Bettpfanne über die Rübe zu hauen. Du bist echt toll, ohne jedes Selbstmitleid und immer ein Auge auf die Komik einer Situation. Und dass der Steward erzählt, er habe noch nie erlebt, dass ein Mann seiner Frau die erste Klasse abtritt, ist auch ein Hammer, mag aber damit zu tun haben, dass die meisten Paare doch zusammen fliegen, oder ist es doch so, dass Firmen nur dem Mann Business oder First bezahlen und er seine Olle, weil sie unbedingt
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