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Der Krankentröster (German Edition)

Der Krankentröster (German Edition)

Titel: Der Krankentröster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen von der Lippe , Gaby Sonnenberg
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wirke ich bestimmt sehr hart und selbst egoistisch. Sicherlich war ich das auch. Aber ich wollte gerne nur Ruhe, und es war einfach so anstrengend, die ganze Zeit zuzuhören. Es war einfach zu viel.

    Dabei störte es sie offensichtlich auch nicht, ob ich einen Schüttelfrostanfall bekam oder sie neben mir auf ihrem Toilettenstuhl saß, der zwischen unseren zwei Betten auf Kopfhöhe stand. Lilith hatte mir selbst gemachte Seife geschenkt, die ich dann immer aus meinem Nachttisch holte und daran roch.

    Oft lag ich da und schlief bei ihren Geschichten ein. Entschuldigend sagte ich: »Es tut mir leid, wenn ich mal wegnicke. Ich bin so müde.« »Ja, das macht doch nichts!« Und es ging weiter. Ich habe mir dann vorgestellt, dass meine Oma mir eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt oder ein Hörspiel an ist. So konnte ich es nervlich besser verkraften. Aber ich hatte Angst, nachts auf die Toilette zu gehen, denn sobald ich das Licht anmachte und zur Toilette ging, ging es weiter. Ich hätte weinen können, wenn ich es nicht auch irgendwie total komisch gefunden hätte. Ich kam mir vor wie in einer Comedy-Serie.

    Und am erstauntesten muss ich einmal geguckt haben, als sie mir erklärte, dass ich jetzt hohes Fieber bekommen hätte, da Besuch für mich da war und das Zuhören mich zu sehr angestrengt habe. Vor allem bat sie mich, dass die Kinder, Freunde oder mein Mann nicht mehr kommen sollten, da sie uns anstecken könnten.

    Das mit dem Besuch ist tatsächlich ein großes Problem auf einer Krebsstation. Da es viele immunschwache, neutropene Menschen dort gibt. An jeder Zimmertür steht geschrieben, dass man sich vor Eintritt die Hände desinfizieren muss, nichts im Zimmer sowie den Patienten nicht berühren darf. Das war für meine Kinder und mich besonders schlimm. Ich hatte nicht einmal die Möglichkeit seit der Diagnose, sie in den Arm zu nehmen, ihre Hand mal zu halten oder über den Kopf zu streicheln. Ich wurde ja überraschend ins Krankenhaus gerufen, als die Kinder in der Schule und die Kleinste im Kindergarten war.

    Nun, nach der ersten harten, sechswöchigen Chemophase durfte ich für ein paar Tage nach Hause. Die Kinder hatten Sommerferien, und mein Mann konnte sie in einem Feriencamp in Tel Aviv unterbringen. Und da kam ihm die Idee, als er sie wieder abholen wollte, dass ich doch einfach mitfliegen sollte. In fünf Tagen müsse ich doch wieder im Krankenhaus sein, und da täte mir ein bisschen Sonne und so doch sicherlich gut, und wir könnten die Kinder überraschen. So fragten wir bei den Ärzten nach, ob der Flug dahin in Ordnung sei, und ich war sicher, dass sie Nein sagen würden. Aber als sie sich kurz besprachen und meinten: »Sie sind ja gerade nicht in der Chemophase. Blutwerte okay. Also, guten Flug!«, flogen wir also ins sonnige Tel Aviv. Micha hatte einen Medical Service am Flughafen bestellt, weil ich noch schwach war, und ich wurde schön durch den Frankfurter Flughafen geschoben. Und dann sagte mir mein Mann noch: Ich habe ein First Class Upgrade bekommen, das bekommst du.

    Und es war so schön. Das kann man sich nicht vorstellen. Vor Kurzem dachte ich noch, mein Leben sei vorbei, und es war alles so schrecklich, und jetzt saß ich da mit leckerem Essen und wurde verwöhnt. Wahnsinn! Und als der Steward mich fragte, wer ich denn sei – hier sollte doch eigentlich Michael Schmidt sitzen –, erzählte ich ihm, dass mein Mann mir den Sitzplatz mit den Worten überlassen hatte: »Lass dich mal richtig verwöhnen.« Und da sagte er: »Das habe ich noch nie erlebt, dass ein Mann seiner Frau sein First Class Ticket gibt und sich das entgehen lässt.« Ja, da war ich glücklich. Ich lebte, hatte einen lieben Mann und war unterwegs zu meinen Kindern. Und dann sah ich das Meer, oh, wie hatte ich das vermisst. Eigentlich, dachte ich da, müsste jeder Leukämiepatient von der Lufthansa mal so einen First-Class-Flug spendiert bekommen, das werde ich versuchen für die anderen, die es auch erwischt hat, hinzubekommen, wenn ich wieder gesund bin, und ich schaute in die Wolken.

    Im Hotel angekommen, legte ich mich erst mal schlafen, und mein Mann holte die Kinder ab. Als sie wiederkamen, versteckte ich mich im Badezimmer und setzte mich auf die Toilette, und da ging auf einmal die Tür auf, weil Bennet auf Toilette musste. Er schaute seine Mutter, die wie ein Honigkuchenpferd grinsend dasaß, an, als ob er gerade einen Geist sehen würde, und sagte: »Mama!« Da kamen die anderen beiden angerannt,

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