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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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sein.«
    »Warum denn?«
    »Weil der Meister im Feuerschein erweckt werden muss. Natürlich kann ich das Gegenteil nicht beweisen, aber ich glaube, nur ein echtes Feuer kann die Verwandlung in Gang setzen.«
    »Aber als ich in Toyamas Haus das Ritual beobachtet habe, da…« David verstummte. Schließlich nickte er langsam und fuhr fort: »Das Mondlicht ist eine abgeschwächte Reflexion des Sonnenfeuers.«
    Lorenzo lächelte wie ein mit seinem Schüler zufriedener Lehrmeister. »›Nicht gleißend hell und auch nicht dunkel darf dann das Licht der Tränen sein. Nicht Sonne und nicht Stern‹ – wie du siehst, haben wir gute Chancen, dass unser Experiment gelingt.«
    Davids Kiefer mahlten, während er Wasserglas und Kerze wie eine Giftschlange fixierte. Ohne den Blick vom »Versuchsaufbau« zu nehmen, öffnete er dann den obersten Knopf seines Hemdes und zog die Kette mit dem Ring heraus. Er streifte sie sich über den Kopf und reichte sie Lorenzo.
    »Danke. Bist du bereit?«
    David nickte.
    »Na, dann mal los. Sieh genau hin.«
    Langsam ließ Lorenzo den Siegelring an der goldenen Kette in das Glas gleiten. Der Wasserspiegel stieg bis zum Rand des Gefäßes hoch. Das Kerzenlicht schien von dem blutroten Stein geradezu angezogen zu werden. Vielfach reflektiert durch Wasser und Glas flimmerte es über die Wände der stillen Grotte. David bekam eine Gänsehaut. Er konnte sich nicht des Gedankens erwehren, die roten und goldenen Lichtflecken bewegten sich viel schneller, als sie es dem Flackern der Kerzenflamme nach eigentlich durften.
    Die beiden Männer starrten gebannt auf das Farbenspiel. Irgendetwas stimmte nicht. Die leuchtenden Punkte huschten hin und her wie in einem Gefängnis, aus dem sie ausbrechen wollten, es aber nicht konnten.
    »Warte!«, sagte David unvermittelt und zog mit dem Finger rings um das Glas einen Kreis in den Staub. Lorenzo runzelte fragend die Stirn. David zuckte die Achseln. »Eine alte Erinnerung. Ich weiß nicht, ob es etwas bringt.« Toyama hatte einst mit Tusche einen Kreis um seine Glaskugel gezogen.
    Endlich war der Schlüssel gefunden, um das im Rubin gebannte Licht zu seiner vollen Entfaltung zu bringen. Allmählich kam Ordnung in die zuvor wild durcheinander flimmernden Pünktchen. Erst verdichteten sie sich zu kleinen kugelförmigen Lichtwolken und dann zeigte sich ein David durchaus vertrautes Bild: Aus den Lichtflecken wurden Sputniks, kleine Satelliten. Ausgerechnet jetzt musste er an den ersten künstlichen Trabanten denken, den die Sowjets vor ziemlich genau einem Jahr zum Schrecken der ruhmsüchtigen Amerikaner in die Erdumlaufbahn geschossen hatten!
    Ebenso drehten sich nun die Lichtwölkchen wie irisierende Bälle um ihr Zentrum, den Fürstenring. Jedes Mal, wenn eine der unheimlichen Reflexionen David streifte, glaubte er von eisigen Fingern berührt zu werden. Zum ersten Mal hatte er auf Blair Castle Ähnliches gesehen, später bei Jasons Träne, der Glaskugel aus dem Berliner Pergamonmuseum, und dann in Toyamas Residenz in Hiroshima…
    »Schau!«, flüsterte Lorenzo.
    Auch David hatte die neuerliche Veränderung bemerkt: Es kam Leben in die runden Lichtblasen. Bewegungen waren darin zu erkennen. Die Bilder!
    »Wirf einen Blick auf die Wände«, raunte Lorenzo.
    Mühsam zwang David seine Augen weg von dem schlanken Wasserglas, der Kerze und dem Ring. Und tatsächlich! Über die Wände huschten große Bilder, als seien die kreisenden Trabanten die Linsen eines Projektors. Und mit einem Mal blickten die beiden Männer in die Vergangenheit.
    Zuerst sahen sie eine Gruppe von zwölf Personen auf einer Anhöhe. Unweit war ein träger Strom zu erkennen. Plötzlich fielen David seine Gespräche mit Walter Andrae ein. Der Fluss musste der Euphrat sein. Dann war die Anhöhe E-temen-an-ki, »das Haus des Fundamentes des Himmels und der Erde«, der Turm von Babylon. Wie auf den Schwingen des Windes wehte eine Stimme an Davids Ohr – oder bildete sie sich direkt in seinem Kopf? Jedenfalls konnte er die Worte verstehen. Von einem Plan zur Vernichtung der Welt wurde da gesprochen, weil, wie die beschwörende Stimme sagte, das »wahre Sein nur aus der Finsternis der Nichtexistenz geboren werden« könne. Dann wechselte die Szene mit einem Mal. Vor seinen Augen stieg ein finsterer Raum auf: das Mithräum.
    Wieder tagte der Zirkel und schon wie in Babylon führte den Vorsitz eine in Schatten gehüllte Gestalt unter einem Baldachin, der an das Ziborium in der Oberkirche von San Clemente

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