Der Kuerbismoerder
Leute, die zwar seltsame, aber keinesfalls strafbare Rituale praktizieren.
„Eine Sekte also?“
Victor zuckte die Schultern.
„Sekte würde ich nicht sagen, dafür sind die paar Leute zu wenig und halten auch keine Seminare oder ähnliches ab. Sie praktizieren alte, heidnische Bräuche, bleiben dabei aber unter sich. Allerdings habe ich gehört, dass man jederzeit daran teilnehmen kann, offenbar völlig kostenlos. Reverend Jones ist auf die Gruppe jedoch gar nicht gut zu sprechen und lässt seit Jahren nichts unversucht, die Egglestones aus Lower Barton zu vertreiben. Ich hörte, er habe erst kürzlich einen Prozess angestrebt, diesen aber verloren.“
„Dann könnte Jones mit seinem Verdacht, jemand von den Egglestones habe die Kürbisse zerstört, recht haben? Vielleicht um sich an dem Reverend zu rächen?“
„Durchaus, obwohl ich mit den Pfaffen selten einer Meinung bin. Jones’ Passion für die Kürbiszucht ist allgemein bekannt, und da er in den letzten Jahren stets den Preis gewonnen hat …“
„Wollten die Egglestones es in diesem Jahr verhindern“, vollendete Mabel den Satz. „Es ist nur fraglich, ob die Polizei sich um den Fall kümmern wird, schließlich ist außer einer Zeltplane und ein paar Kürbissen niemand zu Schaden gekommen.“
Victor drohte mahnend mit dem Finger.
„Mabel, Mabel, ich sehe Ihnen an, was in Ihrem Kopf mal wieder vor sich geht. Sie haben es auf den Punkt gebracht: Es wurden ein paar Kürbisse zerstört, nicht mehr als ein dummer Streich, vielleicht auch von ein paar übermütigen Jugendlichen unter Alkoholeinfluss. Auf jeden Fall kein Grund, sich irgendwie einzumischen.“
„Ach, Victor.“ Mabel lachte unbekümmert. „Wollen Sie mir verbieten, mir ein paar Gedanken zu machen?“
„Ich kenne es, wenn Sie anfangen, sich Gedanken zu machen“, nuschelte Victor undeutlich, dann laut fordernd: „Bringen Sie mich jetzt nach Hause, das Fest ist ohnehin beendet.“
Die Egglestone-Farm bestand aus mehreren um einen gepflasterten Hof gruppieren Gebäude, deren Haupthaus über dreihundert Jahre alt war. Alles wirkte gepflegt und gemütlich, lediglich die in die hölzerne Tür geschnitzten, seltsam anmutenden Runen wiesen darauf hin, dass hier keine normalen Farmer lebten. Mit Victors Hilfe hatte Mabel im Internet mehr über die Wohngemeinschaft herausgefunden, die – ganz im Gegensatz zu ihren alten heidnischen Ansichten – eine moderne Webseite betrieb, auf der zu lesen war, dass Interessenten jederzeit willkommen waren. Victor versuchte nicht, Mabel von einem Besuch auf der Farm abzuhalten, denn die resolute Dame machte ohnehin, was sie wollte. Außerdem waren ihm die Hände gebunden, oder vielmehr das Bein eingegipst, so dass er Mabel nicht würde aufhalten können.
Der Türklopfer war in der Form eines Druiden geschmiedet, die Mabel an Merlin erinnerte. Es öffnete eine junge Frau mit hüftlangem blondem Haar, und sie war in ein fließendes hellblaues Gewand gekleidet.
„Schwester, ich grüße dich.“ Ihre Stimme war ebenso sanft und freundlich wie ihr Blick. „Wie können wir dir helfen?“
„Woher wollen Sie wissen, ob ich Hilfe benötige?“, fragte Mabel verwundert.
„Jeder Mensch braucht Hilfe, und du hast den ersten Schritt in eine gute Richtung getan, indem du in unsere Gemeinschaft gekommen bist.“ Die junge Frau machte eine einladende Handbewegung und trat zur Seite. „Komm herein, der Meister wird dich sofort empfangen.“
„Ich sage Ihnen, Victor, die Vorstellung war sehr beeindruckend, wenn man an solche Dinge glaubt.“
Aufmerksam hatte Victor Mabels Bericht über ihren Besuch auf der Egglestone-Farm gelauscht, jetzt blitzten seine Augen schelmisch.
„Meine liebe Mabel, Sie werden sich nicht etwa heidnischen Sitten verschreiben? Am besten noch bei Vollmond durch Steinkreise tanzen und an Beltane mit wallendem Haar über Feuers springen?“
„Offenbar ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, dass ich mein Haar kurz trage“, gab Mabel zurück. „Ich sagte ausdrücklich, wenn man an Götter, Druiden und diese Sachen glaubt, dann kann ich mir vorstellen, dass man von den Egglestones durchaus angetan ist. Sie sollten aber wissen, dass ich davon nichts halte. Der Nachmittag hat mich trotzdem fasziniert.“
„Erzählen Sie weiter“, forderte Victor Mabel auf. „Ich bin gespannt, was auf der Farm so vor sich geht.“
„Wenn Sie jetzt erwarten, ich würde von freier Liebe und Tieropfern berichten, dann muss ich Sie enttäuschen.“
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