Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood
dabei mit jedem Schlag, die Schreie in ihrem Kopf durch das Geräusch des berstenden Holzes zu übertönen. Als sie durch die zersplitterte Tür trat, stand sie auf dem Absatz einer modrigen Steintreppe, die hinab in den dunklen Bauch des Hauses führte. Trotz der Kraftanstrengung und der warmen Nachtluft zitterte sie.
Weitere Schreie, manche ängstlich, manche wütend, schallten aus der Dunkelheit herauf, doch es war schwierig zu unterscheiden, ob sie real waren oder nur in ihrem Kopf. Am Fuß der Treppe stieß sie auf einen feuchten Gang, der von einem dämonischen roten Leuchten erhellt wurde. Wie eine verlorene Seele am Eingangstor zur Hölle schritt sie der Quelle des Lichts entgegen, vorbei an einem Generator mit zwei Kanistern voll Kerosin und einer roten Wandleuchte. Mit jedem Schritt wurden die Schreie lauter. Dann öffnete sich der Gang zu einem Raum, dessen Wände aussahen, als wären sie mit Brettern verkleidet. Es dauerte einen Moment, bis sie erkannte, dass sie von Holzkäfigen voll junger Frauen umgeben war, die sie mit hohläugigen Blicken halb panisch und halb hoffnungsvoll anstarrten. Die Frauen waren jünger als sie selbst, kaum mehr als Teenager. Sie schwang die Axt und zertrümmerte die Türen der mit Vorhängeschlössern gesicherten Verschläge zu Kleinholz. » Lauft«, rief sie, während sie die Mädchen aus ihren Käfigen zog und zum Ausgang schob. » Seht zu, dass ihr hier rauskommt!«
Als sie die letzten der noch ganz benommenen Mädchen hinausbrachte, hörte sie wütende Männerstimmen durch die Schreie dringen. Sie drehte sich um und sah zwei Männer auf sich zulaufen. Der erste, ein untersetzter Kerl mit Glatze, kam keuchend näher, sein Gesicht zu einer zornigen Fratze verzerrt. Am Ende des dunklen Gangs sah sie zwei weitere Männer die Kellertreppe runterstürmen. Sie alle waren bewaffnet und redeten in einer Sprache, die sie nicht verstand. Die unbekannten Laute hinterließen einen seltsamen Geschmack auf ihrer Zunge. Sie ließ die schwere Axt fallen und rannte zum Ausgang. Der Knall des ersten Schusses ließ einen roten Blitz vor ihren Augen auflodern wie eine geplatzte Ader. Der zweite Schuss traf sie an der Schläfe und ließ sie gegen die Betonwand taumeln. Benommen kam sie wieder auf die Beine. Sie biss die Zähne zusammen und stolperte weiter. Gerade, als sie am Generator vorbeirannte, knallte der dritte Schuss. Doch diesmal klang und schmeckte es anders – nach Metall.
Die Kerosinkanister.
Einen Moment lang blieb die Zeit stehen. Dann ließ die Explosion ein Kaleidoskop an Farben vor ihren Augen aufblitzen. Die heiße Druckwelle warf sie zu Boden. Die Farben verschwanden. Es gab nur noch schwarz.
2
In einem anderen Teil der Stadt fuhr Dr. Nathan Fox aus dem Schlaf und sah sich in dem nur schwach erleuchteten Raum um. Er saß zusammengesackt auf einem Sessel, sein Rücken schmerzte, und einen Moment lang wusste er nicht, wo er sich befand. Das hier war ganz eindeutig nicht seine Wohnung. Dann sah er das Bett, und die Erinnerung kehrte zurück. Er befand sich in einem der privaten Krankenzimmer des Oregon University Research Hospitals. Es war wohl das erste Mal seit seinem Medizinstudium, dass er die Nacht im Krankenhaus verbracht hatte. Aber heute war er nicht im Dienst. Diesmal hatte er persönliche Gründe.
Er stand auf und betrachtete den Patienten im Krankenbett. Wie er da so ruhig lag, die Augen geschlossen, wirkte das ausgemergelte Gesicht des Mannes entspannt und friedlich. Im weichen Licht der Nachttischlampe hätte man fast meinen können, er wäre gesund. Nur sein gequältes Atmen verriet Fox, dass die Lungenentzündung das letzte Stadium erreicht hatte. Seit sie die Antibiotika abgesetzt hatten, war die Krankheit rasch vorangeschritten. Die Lungenentzündung war jedoch nicht der eigentliche Killer, nur der gnädige coup de grâce. Als Fox sanft über die verschwitzte Stirn des Patienten strich, öffneten sich die Augen des Mannes für einen kurzen Moment, starrten mit leerem Blick in den Raum und schlossen sich wieder. Wenigstens bot das Morphium ihm ein wenig Erleichterung.
Ein leises Seufzen ließ Fox zu der Frau hinübersehen, die auf dem Sofa neben dem Bett lag. Auch sie hatte die ganze Nacht am Krankenbett verbracht, und als er nun ihre Decke glatt strich, war er froh, dass sie ein wenig Schlaf gefunden hatte. Es würde bald hell werden. Gähnend streckte er seine Beine und schaute auf die Uhr. In wenigen Stunden kam sein erster Patient, und er war
Weitere Kostenlose Bücher