Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood
Prolog
Portland, Oregon
Der kleine Junge ahnt nicht, wie nah er dem Tod ist. Er sitzt mit seiner älteren Schwester auf dem Rücksitz des Autos, das seine Eltern für den Urlaub gemietet haben, und freut sich auf seine Geburtstagsparty. In zwei Tagen wird er elf Jahre alt. Er liebt diese Familienurlaube bei seiner Tante und seinem Onkel in Oregon. Hier oben im Nordwesten der USA ist alles viel prachtvoller als in England. Die Sommer sind heißer, der Himmel ist blauer, die Autos sind größer und die Strände weißer. Die riesigen Mammutbäume, die sie heute besichtigt haben, lassen selbst die mächtigsten Eichen daheim in Cornwall winzig erscheinen. Nur die Schwester des Jungen unterbricht seine Tagträume, als sie anfängt, sich selbst in den Unterarm zu kneifen.
» Ali, hör auf«, fleht er. Sie lächelt gelangweilt, schiebt ihren Unterarm noch etwas näher an sein Gesicht heran und kneift noch etwas fester. Manchmal hasst er seine große Schwester und wünscht sich, sie würde einfach verschwinden.
Seine Mutter dreht sich auf dem Beifahrersitz um. » Was ist los?«
» Sie kneift sich in den Arm!«
» Na und? Ist ja schließlich mein Arm. Er braucht ja nicht hinzugucken.«
» Hör auf damit, Alice. Du weißt genau, dass dein Bruder bei so was empfindlich ist.« Seine Mutter lächelt ihn an. » Schau einfach gar nicht hin, Nathan.«
» Wir müssen tanken«, bemerkt sein Vater.
» Aber wir sind ja schon in Portland, Richard. Meinst du nicht, wir schaffen es noch bis zu Samantha und Howard?« Nathan liebt den amerikanischen Akzent seiner Mutter. Manchmal wünscht er, sein Vater wäre auch Amerikaner, dann könnten sie immer hier leben.
» Das will ich nicht riskieren, Jenny. Außerdem ist es schon spät.« Sein Vater zeigt auf eine Chevron-Tankstelle. » Wir tanken hier und rufen die beiden an, um ihnen zu sagen, wann wir zurück sind.« Er fährt auf den Hof der Tankste lle und dreht sich zu den beiden auf der Rückbank um. » Ihr beide bleibt im Wagen.«
» Ich will aber aussteigen. Es ist so langweilig im Auto«, stöhnt Alice, als wäre Langeweile das Furchtbarste auf der Welt.
» Lasst uns alle aussteigen«, sagt seine Mutter. » Dann können wir uns ein wenig die Beine vertreten und noch mal zur Toilette gehen.«
Die kleine Glocke an der Eingangstür läutet, als sie den Tankstellenshop betreten. Nathans Vater bleibt am Auto, während seine Mutter zum Telefon in der Ecke geht und Alice auf der Toilette im hinteren Teil verschwindet. Nathan arbeitet sich durch die Comics im Zeitschriftenregal, bis er auf einen Superman-Comic stößt, den er noch nicht kennt. Die Glocke an der Eingangstür läutet erneut, als sein Vater zum Bezahlen hereinkommt. Nathan ist so vertieft in den Comic, dass er gar nicht bemerkt, wie seine Schwester zurückkehrt und die Türglocke zum dritten Mal läutet. Erst als seine Mutter ihn am Arm packt und zu sich heranzieht, schaut er auf und sieht die Angst in ihren Augen. Das Gesicht seines Vaters ist wie versteinert. Alice ist ganz bleich, als Richard ihnen ein Zeichen gibt, näher zusammenzurücken. Irgendetwas stimmt nicht.
Dann sieht er die beiden Männer, und ein kaltes Gefühl der Übelkeit macht sich in seinem Magen breit. Sie tragen schwarze Mäntel mit Kapuzen, die ihre Gesichter verbergen. Nathan sieht, wie einer von ihnen eine Pistole unter seinem Mantel hervorholt, der andere eine abgesägte Schrotflinte. Doch die beiden Männer schenken dem Jungen und seiner Familie keine Beachtung und konzentrieren sich nur auf den asiatischen Verkäufer hinter der Ladentheke. Der Kerl mit der Pistole zeigt auf die Kasse. Auf seinem rechten Unterarm schlängelt sich eine tätowierte Kobra um den Schaft eines seltsam geformten Kruzifixes mit einer Schlaufe statt eines senkrechten Balkens am oberen Ende. » Hey, Jackie Chan! Mach die Kasse leer.« Der Angestellte nickt nervös und greift unter den Tresen.
Einen Moment lang herrscht gespenstische Stille.
Dann brüllt der Kerl mit der Schrotflinte: » Das Scheiß-Schlitzauge hat den Alarm ausgelöst!« Er macht einen Schritt nach vorn und schießt aus beiden Läufen. Nathan kneift gerade noch rechtzeitig die Augen zu. Als er sie wieder öffnet, ist der Kassierer hinter der Theke verschwunden. Da, wo er eben noch gestanden hat, tropft Blut von einem Stapel Kartons wie roter Sirup.
» Was machen wir jetzt?«, fragt Pistole aufgedreht.
Schrotflinte greift über die Ladentheke und nimmt das Geld aus der Kasse. » Abhauen, würd ich
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