Der Kuss der Russalka
kam hervor und ließ sie leuchten. Ein letztes Lächeln schwebte über dem Wasser, dann tauchten die Gesichter unter. Eine Russalka nach der anderen verabschiedete sich stumm von ihrer Hüterin. Schließlich hob auch Jelenas Russalka die Hand. Jelena zitterte, als sie den Abschiedsgruß erwiderte. Das Letzte, was Jelena und Johannes von den Newanixen sahen, war ein Glitzern unter der Wasseroberfläche, das in der Tiefe erlosch wie ein Kerzenlicht. Zurück blieb die wasserdunkle Ewigkeit.
* * *
Jelena weinte lange und Johannes, der nicht wusste, was er ihr hätte sagen können, hielt sie einfach nur fest und ließ sich von ihrer Trauer über den Verlust ihres Lebens, ihrer Nixen, ihres Daseins durchdringen. Er stellte sich vor, wie die Nixen durch das Wasser trieben, mit dem Schatz in den Händen, der leuchtenden roten Perle, die sie wie ein Weglicht zum Herzen der See führte. Und er sah Mitja vor sich, den Narren, der dort angelangt war, wo er immer hatte sein wollen. Als Strandgut am Ufer zurückgeblieben war Jelena. Nach einer Weile befreite sie sich sanft aus seiner Umarmung. Stumm einigten sie sich darauf, zurückzukehren. Zurück in die Stadt, in der die Lebenden darauf warteten, dass die Sturmflut sich endgültig zurückzog. Holz, das vorbeitrieb, nahmen sie als Paddel und wendeten ihr provisorisches Boot. Schweigend ruderten sie, den Westwind im Rücken, während die Sonne höher und höher stieg.
Links von ihnen ragte die Festung Kronstadt aus dem Meer. Wahrscheinlich beobachteten die Soldaten durch ein Fernrohr die zwei Schiffbrüchigen, die tapfer weiterpaddelten. Nach und nach kamen Schiffe in Sicht, dann die ersten Häuser. An den Ufern ging das Wasser langsam zurück. Menschen saßen auf Bäumen, zerbrochenes Treibgut säumte die Newa wie ein bizarres Halsband.
»Es tut mir Leid«, sagte Johannes nach einer Weile.
Jelena sah ihn an und lächelte. Der Horizont, eine spiegelnde Scheibe, glitt hinter ihr vorbei. »Warum? Seit ich geboren wurde, habe ich geahnt, dass ich sie eines Tages verlieren würde. Sie werden leben – nur das zählt.«
Ihr Lächeln ermutigte ihn und unter dem Schatten, der immer noch über ihm schwebte, dem Schatten des Todes, der sie ihm beinahe weggenommen hätte, schwor er sich, nie wieder Zeit zu verschwenden. »Mich hast du nicht verloren«, sagte er. »Ich … werde Schiffe bauen. Wir können über das Meer fahren. Wir sind frei – du und ich.«
Das Lächeln verschwand, ihre braunen Augen leuchteten in der Sonne wie dunkler Bernstein. Sie schwieg und er fühlte sich wie ein Mann, der einen Ertrinkenden retten möchte und verzweifelt versucht das Seil nicht loszulassen.
»Hast du nie davon geträumt, über das Meer zu fahren?«, fragte er zaghaft.
»O doch«, antwortete sie. »Seit Ewigkeiten träume ich davon. Aber …« – die alte Ironie schlich sich wieder in ihre Worte – »… bringen Frauen auf den Schiffen nicht Unglück?«
»Auf unserem nicht«, sagte er mit fester Stimme. »Wir können segeln bis nach Kopenhagen, nach Hamburg oder über das Adriatische Meer nach Venedig.«
»In die Nähe der Russalkas?«, fragte sie leise.
»Wir werden ihre Träume stören«, erwiderte er und lachte.
Ihr Lächeln war fadenfein und zerbrechlich wie ein Glasgespinst. Er machte den Fehler und zerschlug es mit seiner Stimme. »Also kommst du mit mir?«
Zu seiner Überraschung schüttelte sie den Kopf. Er machte einen weiteren Fehler. »Warum?«, rief er. »Was ist los? Liegt dir überhaupt nichts an mir? Wenn es das ist, dann sage es!«
»Hör auf«, fuhr sie ihm scharf dazwischen. »Verstehst du denn nicht? Du kehrst zurück in dein Leben. Ich dagegen habe mein Leben soeben verloren. Ich war eine Muschel, die eine Perle hütete – nun ist von mir nur noch eine Schale übrig.«
»Aber wir …«
»Lass es!«, schrie sie ihn an. »Du verstehst es nicht.« Die Endgültigkeit ihrer Worte nahm ihm jeden Mut. Hilflos starrte er sie an. »Lass es, Brehmow«, sagte sie leiser.
»Johannes heiße ich«, antwortete er. Es klang kläglich. Jelena blickte mit ausdruckslosem Gesicht dem Ufer entgegen, das Paddelschlag für Paddelschlag näher auf sie zuglitt.
Die dritte Prüfung
Es waren viele Tage, die das Fieber ihm stahl. Die Wunde, die Derejew ihm mit der Pistole beigebracht hatte, und einige Verletzungen, die er durch die Prügel erlitten hatte, entzündeten sich. Nachdem er Iwan gefunden und mit ihm die Werkstatt wieder in Ordnung gebracht hatte, erinnerte Johannes
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