Der Lambertimord
nur den Kopf. Er wußte, auch Beten half nichts. Er mußte etwas tun, damit sein Kopf nicht wieder und wieder explodierte. Er wußte nur noch nicht genau, was.
Mehr als tausendmal hatte er sich das Bild schon vorgestellt. Jeden Tag, jede Stunde. Wie sie sich an seine Schulter schmiegt und leise und zärtlich seinen Namen sagt: »Stanislaw, mein starker Mann, ich liebe dich.« Aus ihrem Mund klang »Stanislaw« wie der Name eines Königs. »Stanislaw, du bist der Mann, von dem ich immer geträumt habe.« Er würde sie küssen, erst leicht auf ihr seidiges kurzgeschnittenes Haar. Ihm gefiel ihre Frisur, obwohl er lange Locken eigentlich lieber mochte. Mit vielen kleinen Küssen würde er ihren Kopf liebkosen, ihn mit seinen Händen streicheln. Dann würde er langsam ihren Hals mit seinen Küssen bedecken. Dazu würde er romantische Musik aufgelegt und Kerzen angezündet haben. Im Kerzenschein würde ihre Haut noch weicher als Samt aussehen. Er hatte das einmal im Kino gesehen, in Großaufnahme. Wie ein Zeigefinger langsam den hellen Pflaum am Hals der Schauspielerin entlang gefahren war. Er konnte sich später an den Titel des Films nicht mehr erinnern. Nur an den Hals der Schauspielerin in Großaufnahme und an ihre blonden Nackenhärchen.
Sie würden Sekt trinken, nein, teuren Champagner. Viel Champagner. Und sie würden sich dabei küssen. Obwohl er noch nie Champagner getrunken hatte, spürte er in Gedanken schon die prickelnden Perlen auf seiner Zunge. Einmal, bei einer Familienfeier im Winter, hatte er als Kind heimlich den Rest Schaumwein probiert, den seine Mutter in ihrem Glas zurückgelassen hatte. Champagner mußte noch viel besser schmecken als damals der billige Perlwein aus Rußland.
Ganz langsam würde er schließlich mit ihr zur Musik tanzen und sie dabei auf ihren heißen Mund küssen. Sie immer ein Stückchen mehr ausziehen, bis sie schließlich beide nackt auf das Bett sinken und sich die ganze Nacht lieben würden.
Auch jetzt hatte er wieder dieses Bild im Kopf. Quasi in Großaufnahme von oben fotografiert. Wie sie beide verschwitzt auf dem Laken liegen und jeder seinen Gedanken nachhängt. Die Sehnsucht nach dieser Frau auf dem Hof brachte ihn fast um. Er hatte sich von dem Moment an, als er sie das erste Mal von draußen durch das Fenster gesehen hatte, in sie verliebt. Er mußte sie haben. Sie sollte nur ihm gehören. Nur ihm allein.
Stanislaw rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. Er schloß die Augen. Er mußte sich konzentrieren und nachdenken. Nachdenken half, ihm würde schon etwas einfallen. Die Zeit hilft. Wie hatte seine Großmutter immer gesagt, wenn er Kummer hatte? »Jungchen, kommt Zeit, kommt Rat. Auf einen Winter folgt der Frühling. Jungchen, das wird schon wieder. Glaube deiner alten Oma, mein liebes Jungchen.«
Stanislaw drehte den Kopf ganz zur Seite, um noch mehr zu sehen. Die junge blonde Frau stand immer noch auf dem Hof. Allerdings konnte er kaum noch ihre schlanken Beine sehen. Sie war ein paar Schritte zur Seite gegangen und er hörte, wie sie mit jemandem sprach. Es klang fast wie ein Streit, aber er konnte nicht hören, worum es ging. So sehr er auch sein Ohr an den schmalen Spalt in der Holzwand drückte, die Stimmen waren einfach zu leise.
Plötzlich fuhr er herum und schlug dabei hart mit der Stirn an eine Eisenstange, die neben ihm aus einem Stapel Alteisen ragte. Jemand hatte mehrmals seinen Namen gerufen. Stanislaw fluchte und rieb sich den Kopf. Blut sickerte aus dem Riß in seiner Haut. Er achtete nicht weiter darauf und setzte beim Hinausgehen seine abgewetzte Kappe auf.
Als er auf den Hof trat, war der leer. Seine blonde Sharon war verschwunden. Irgendwo in der Nachbarschaft kläffte laut ein Hund. Langsam ging Stanislaw über den Hof. Seine Gedanken wurden düster. Er wußte nun, was er tun mußte. Es würde nicht leicht werden, aber es würde sich lohnen. Es mußte sich lohnen, denn er würde einen hohen Preis zahlen müssen. Erleichtert über seine Entscheidung war er nicht. Er hatte Angst, panische Angst. Sein Plan konnte ihn den Kopf kosten. Das wußte er genau. Aber er wußte auch, daß er keine Alternative hatte. Er mußte nur vorsichtig genug sein, dann würde alles gut werden. Ganz vorsichtig. Er versuchte jetzt nur noch, an seine längst verstorbene Großmutter zu denken. Reflexartig begann er, leise das alte Schlaflied aus seiner Kinderzeit zu summen.
III.
Frank saß erst seit einigen Minuten in seinem Büro und hatte damit
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