Der langsame Walzer der Schildkroeten
Gewissheit geriet ins Wanken. So lange war es her, seit sie Du Guesclin zu sich genommen hatte. Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, und so sagte sie: »Dann hätten Sie ihn eben nicht allein lassen dürfen!«
»Ich habe ihn nicht allein gelassen. Ich hatte ihn aus meinem Haus auf dem Land mitgebracht, wo er die meiste Zeit über lebt, und er ist weggelaufen!«
»Es gibt keinen Beweis dafür, dass er Ihnen gehört! Er war nicht tätowiert, trug keine Marke …«
»Ich kann Zeugen aufbieten, die alle bestätigen werden, dass dieser Hund mir gehört. Er hat zwei Jahre bei mir in Montchauvet, Rue du Petit-Moulin 38, gelebt … Er war ein ausgezeichneter Wachhund. Ein paar Diebe haben ihm ziemlich zugesetzt, aber er hat gekämpft wie ein Löwe, und sie haben es nicht ins Haus geschafft. Danach brauchte er nur noch auf der Bildfläche zu erscheinen, und die entschlossensten Einbrecher machten sich aus dem Staub!«
Joséphine spürte, wie ihr die Tränen kamen.
»Es ist Ihnen völlig egal, dass sie ihn so zugerichtet haben!«
»Das ist nun mal seine Aufgabe als Wachhund. Deswegen hatte ich ihn ausgesucht.«
»Und warum spazieren Sie hier um den See, wenn Sie doch auf dem Land wohnen?«
»Sie sind reichlich aggressiv, Madame …«
Joséphine zwang sich zur Ruhe. Sie hatte solche Angst, dass er ihr Du Guesclin wegnehmen könnte, dass sie ihn mit Zähnen und Klauen verteidigte.
»Sie müssen verstehen«, sagte sie in versöhnlicherem Ton, »ich liebe ihn so sehr, und wir verstehen uns so gut. Ich nehme ihn zum Beispiel nie an die Leine, und er folgt mir überallhin. Bei mir hört er Jazz, er legt sich auf den Rücken, und ich kraule ihm den Bauch, ich sage ihm, dass er der Schönste ist, und er schließt vor Freude die Augen, und wenn ich aufhöre, ihn zu streicheln oder ihm Komplimente zuzuflüstern, stupst er ganz sanft gegen meine Hand, damit ich weitermache. Sie können ihn mir nicht wegnehmen, er ist mein Freund. Ich habe eine sehr schwere Zeit hinter mir, und er war immer für mich da. Wenn ich weinte, jaulte er zum Steinerweichen und leckte meine Hand, also verstehen Sie, wenn Sie ihn jetzt mitnehmen, wäre das furchtbar für mich, und das könnte ich nicht, nein, das könnte ich einfach nicht ertragen …«
Dann hätte die Brandung gewonnen …
Du Guesclin stöhnte, um den Wahrheitsgehalt ihrer Worte zu bestätigen, und der Mann lenkte ein.
»Um auf Ihre indiskrete Frage zu antworten, Madame, ich schreibe. Songtexte und Libretti für moderne Opern. Ich arbeite mit einem Musiker zusammen, der sein Studio an der Muette hat, und jedes Mal, bevor ich mich mit ihm treffe, spaziere ich hier um den See, um meine Gedanken zu sammeln. Das ist mein Ritual. Dabei will ich nicht gestört werden. Ich bin nicht ganz unbekannt …«
Er machte eine Pause, um Joséphine die Gelegenheit zu geben, ihn zu erkennen. Und als er keine Anzeichen dafür entdeckte, dass sie beeindruckt war, fuhr er, leicht beleidigt, fort: »Ich wickelte mir Schals ums Gesicht, um nicht gestört zu werden. Und Tarzan nahm ich nie mit, weil ich fürchtete, er könne mich ablenken. Ich habe ihn in Paris verloren, als ich ihn zu einer Freundin bringen wollte, bevor ich nach New York zu den Aufnahmen für ein Broadway-Musical flog. Er ist weggelaufen, und ich hatte keine Zeit mehr, ihn zu suchen. Stellen Sie sich vor, wie überrascht ich war, als ich ihn heute Morgen hier gesehen habe …«
»Wenn Sie ohnehin die meiste Zeit auf Reisen sind, ist er bei mir besser aufgehoben …«
Du Guesclin kläffte leise, um zu signalisieren, dass er ganz ihrer Meinung war. Der Mann sah ihn an und wandte sich wieder ihr zu: »Wissen Sie, was wir tun werden? Ich werde mit ihm reden, Sie werden mit ihm reden, danach gehen wir in entgegengesetzte Richtungen davon, und dann werden wir ja sehen, wem von uns beiden er folgt.«
Joséphine überlegte, betrachtete Du Guesclin, dachte an die sechs Monate, die sie miteinander verbracht hatten. Die waren doch wohl mehr wert als die beiden Jahre, die er bei dem eingewickelten Kerl durchlitten hatte? Außerdem wäre es ein Zeichen, wenn er sich für mich entscheiden würde. Ein Zeichen dafür, dass ich liebenswert bin, dass ich es wert bin, dass man mir seine Zuneigung schenkt, ein Zeichen dafür, dass ich nicht von der Brandung verschlungen wurde.
Sie erklärte sich einverstanden.
Der Mann kniete neben Du Guesclin nieder und sprach halblaut auf ihn ein. Joséphine entfernte sich ein paar Schritte und wandte
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