Der langsame Walzer der Schildkroeten
herunterzurutschen drohte. Eine Junggesellenwohnung. Sie genoss es, sich als Frau des Hauses zu fühlen. Hier ist sein Zuhause, und ich bin die Frau, die in seinem Bett schläft. Sie schmiegte sich an ihn und hauchte einen Kuss auf seine Hand, die sich, hager wie ein dunkler Weinstock, unter ihre Taille geschoben hatte. Ich habe einen Liebhaber. Ich, Joséphine Plissonnier, verwitwete Cortès, habe einen Liebhaber. Sie errötete und sah sich hastig um, ob auch niemand sie beobachtete. Hoffentlich gefällt ihm mein Hut! Wenn er das Gesicht verzieht, drücke ich ihn platt und verwandle ihn in ein einfaches Béret. Oder ich rolle ihn zusammen, stecke ihn in die Manteltasche und setze ihn nie wieder auf.
Ihr Blick kehrte zu dem Paket zurück. Sie löste die grobe Schnur und las noch einmal die Adresse. Madame Joséphine Cortès. Sie waren nicht mehr dazu gekommen, sich scheiden zu lassen. Hätten sie je den Mut dazu gehabt? Mann und Frau. Man heiratet nicht nur für die guten Tage, man heiratet auch die Fehler, die Schwächen, die Lügen, die Ausflüchte. Sie war nicht mehr in Antoine verliebt, aber er blieb ihr Mann, der Vater von Hortense und Zoé.
Vorsichtig zog sie das Packpapier auseinander, betrachtete noch einmal die Briefmarken – würde sie sie der Postangestellten vorbeibringen? – und hob den Deckel des Schuhkartons an. Obenauf lag ein Brief.
Sehr geehrte Madame Cortès,
das ist alles, was wir von Antoine Cortès, Ihrem Mann, nach jenem unglücklichen Vorfall, der ihn das Leben kostete, noch gefunden haben. Seien Sie versichert, dass wir alle mit Ihnen fühlen und unserem Freund und Kollegen, der allzeit bereit war, anderen einen Gefallen zu tun oder eine Runde auszugeben, stets ein herzliches Andenken bewahren werden. Ohne ihn wird das Leben nie mehr so sein wie zuvor, und sein Platz an der Theke wird als Zeichen der Verbundenheit von jetzt an leer bleiben.
Seine Freunde und Kollegen aus dem Crocodile Café in Mombasa.
Es folgten die allesamt unleserlichen Unterschriften früherer Bekannter von Antoine. Selbst wenn sie sie hätte entziffern können, hätte es ihr nicht weitergeholfen: Sie kannte keinen von ihnen.
Joséphine faltete den Brief wieder zusammen und schob das Zeitungspapier zur Seite, in das Antoines Habseligkeiten eingeschlagen waren. Sie hob eine schöne Taucheruhr mit einem großen schwarzen, von römischen und arabischen Ziffern umrahmten Zifferblatt heraus, einen orangefarbenen Turnschuh Größe neununddreißig – er hatte zeitlebens darunter gelitten, so kleine Füße zu haben – und einen Taufanhänger, auf dem ein Engelchen im Profil abgebildet war, das sein Kinn auf dem Handrücken abstützte. Auf der Rückseite des Anhängers waren sein Vorname und sein Geburtsdatum eingraviert: der 26. Mai 1963. Schließlich noch eine lange mittelbraune Haarsträhne, die auf ein vergilbtes Stück Karton geklebt und mit der handschriftlichen Anmerkung »Haare von Antoine Cortès, französischer Geschäftsmann« versehen war. Es war der Anblick dieser Locke, der Joséphine tiefer traf als alles andere. Der Kontrast zwischen dem feinen, seidigen Haar und dem Anschein, den Antoine sich immer hatte geben wollen. Er mochte seinen Vornamen nicht. Er zog Tonio vor. Tonio Cortès. Das machte Eindruck. Den Eindruck eines Draufgängers, eines Großwildjägers, eines Mannes, der nichts und niemanden fürchtet, während er in Wahrheit stets Angst davor hatte, zu scheitern und den Ansprüchen, die an ihn gestellt wurden, nicht zu genügen. Ihre Finger strichen über die Haarsträhne. Mein armer Antoine, du warst nicht für diese Welt geschaffen, sondern für eine abgeschirmte, unbeschwerte Welt, eine Operettenwelt, in der man sich ungestraft in die Brust werfen kann, eine Welt, in der deine Prahlereien die Krokodile eingeschüchtert hätten. Aber so haben sie mit dir kurzen Prozess gemacht. Nicht nur die Reptilien in deinen Tümpeln. Alle Krokodile dieses Lebens, die ihr Maul aufsperren, um uns zu verschlingen. Die Welt ist voll von diesen elenden Viechern.
Das war alles, was von Antoine Cortès geblieben war: ein Karton auf ihrem Schoß. Im Grunde hatte sie ihren Mann immer auf dem Schoß gehalten. Sie hatte ihn in dem Glauben gelassen, er sei der Herr im Haus, doch in Wahrheit hatte immer sie die Verantwortung getragen.
»Und was darf es für Sie sein, Madame?«
Der Kellner stand abwartend vor ihr.
»Eine Cola light, bitte.«
Er entfernte sich mit federnden Schritten. Sie musste sich unbedingt mehr
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