Der langsame Walzer der Schildkroeten
Frage, die Joséphine auf der Zunge brannte und die sie doch nicht zu stellen wagte, betraf Philippe. Hast du keine Angst, dass er mit einer anderen ein neues Leben beginnt? Hast du keine Angst, irgendwann ganz allein dazustehen? Das wäre zu brutal gewesen.
»Dann versuch doch, ein guter Mensch zu werden …«, hatte sie stattdessen entgegnet. »Es ist nie zu spät, um ein guter Mensch zu werden.«
»Meine Güte, du nervst, Joséphine! Du hörst dich an wie eine Nonne, die versehentlich in einen Puff geraten ist und versucht, die verlorenen Seelen zu retten! Du kommst den ganzen Weg hierher, um mir gute Ratschläge zu erteilen? Spar dir demnächst die Mühe und bleib zu Hause. Ich habe gehört, du bist umgezogen? In eine schöne Wohnung in einem schicken Viertel. Das hat mir unsere liebste Mutter erzählt. Unter uns, sie stirbt fast vor Neugier und würde dich zu gern besuchen, aber sie weigert sich, als Erste anzurufen.«
Sie hatte schwach gelächelt. Ein verächtliches Lächeln. Ihre großen blauen Augen, die ihr gesamtes Gesicht einnahmen, seit sie krank war, hatten sich in boshafter Eifersucht verdunkelt.
»Jetzt hast du ja Geld. Viel Geld. Dank mir. Ich habe dafür gesorgt, dass dein Buch ein Erfolg wurde, vergiss das nicht. Ohne mich hättest du niemals einen Verleger gefunden, du wärst niemals in der Lage gewesen, Journalisten Interviews zu geben, dich in Szene zu setzen, dich live im Fernsehen skalpieren zu lassen, um Aufmerksamkeit zu erregen! Also erspar mir deine Ermahnungen und genieß deinen Reichtum. Dann nutzt er wenigstens einer von uns!«
»Du bist ungerecht, Iris.«
Sie hatte sich wieder aufgesetzt. Eine schwarze Strähne hing ihr in die Augen.
»Wir hatten eine Abmachung!«, hatte sie mit vorwurfsvoll auf Joséphine gerichtetem Finger geschrien. »Ich überlasse dir das ganze Geld, dafür lässt du mir den Ruhm! Ich habe unseren Pakt eingehalten. Aber du nicht! Du wolltest ja beides: das Geld UND den Ruhm!«
»Du weißt ganz genau, dass das nicht stimmt. Ich wollte nichts von alldem, Iris, gar nichts. Ich wollte das Buch nicht schreiben, ich wollte das Honorar für das Buch nicht, ich wollte bloß in der Lage sein, Hortense und Zoé anständig aufzuziehen.«
»Wag ja nicht zu behaupten, du hättest dieses kleine Biest nicht dazu angestiftet, mich live im Fernsehen zu denunzieren! ›Meine Tante hat das Buch gar nicht geschrieben, das war meine Mutter …‹ Dir hat es doch wunderbar in den Kram gepasst, dass Hortense das ausposaunt! Du hast die Edelmütige gespielt und alles eingesackt, du hast mich eiskalt fertiggemacht. Es ist deine Schuld, dass ich jetzt hier in diesem Bett vor mich hin vegetiere, Joséphine, ganz allein deine Schuld!«
»Iris … Ich bitte dich …«
»Und das genügt dir immer noch nicht? Jetzt kommst du auch noch her, um mich zu verhöhnen! Was willst du denn noch? Meinen Mann? Meinen Sohn? Dann nimm sie dir doch, Joséphine, nimm sie!«
»Das kann nicht dein Ernst sein. Das ist nicht möglich. Wir haben uns doch so geliebt, ich jedenfalls habe dich geliebt, und ich liebe dich immer noch.«
»Du kotzt mich an, Jo. Ich war deine treueste Verbündete. Ich war immer für dich da, habe immer für dich bezahlt, habe dich immer beschützt. Ein einziges Mal habe ich dich um etwas gebeten, und da hast du mich verraten. Du hast meinen Ruf ruiniert! Warum, glaubst du, sitze ich hier in dieser Klinik und dämmere vor mich hin? Warum lasse ich mich mit Schlafmitteln betäuben? Weil ich keine andere Wahl habe! Wenn ich dieses Zimmer verlasse, werden alle mit dem Finger auf mich zeigen. Da verrecke ich noch lieber hier drin. Und wenn es so weit ist, hast du mich auf dem Gewissen. Dann werden wir ja sehen, wie du damit weiterlebst. Denn ich werde dich nicht loslassen, Jo! Ich werde nachts zu dir kommen und an deinen Füßen zerren, ich werde deine kleinen warmen Füße von den großen kalten Füßen meines Mannes wegziehen, auf den du es insgeheim abgesehen hast. Glaubst du etwa, das wüsste ich nicht? Glaubst du, ich hörte das Beben in seiner Stimme nicht, wenn er von dir spricht? Ich bin noch nicht völlig benebelt. Ich höre, dass er etwas für dich empfindet. Ich werde dich nicht schlafen lassen, ich werde dich daran hindern, von dem Champagner zu trinken, den er dir reicht, und wenn er seine Lippen auf deine Schulter drückt, werde ich es sein, die dich beißt, Joséphine!«
Ihre ausgezehrten Arme ragten aus dem Morgenmantel hervor, ihre verkrampften Kiefer zuckten,
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