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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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mit ihrem Körper in Einklang zu bringen«. Was für eine entsetzliche Ausdrucksweise! Bin ich vielleicht ein Musikinstrument? Es war ein junger Arzt. Groß, freundlich, mittelbraunes Haar, braune Knopfaugen, ein Bart wie ein melancholischer Barde. Ein präziser Mann ohne jedes Geheimnis, bei dem man sicher sein kann, niemals verletzt zu werden. Ein Mann, der garantiert immer pünktlich kommt. Er nannte sie Mme Dupin, sie nannte ihn Doktor Dupuy. An seinen Augen konnte sie die genaue Diagnose ablesen, die er gerade stellte. Fast hätte sie sogar die Namen der Medikamente entziffern können, die er ihr verschreiben würde. Sie weckte nicht die geringsten Gefühle in ihm. Bevor ich in dieser Klinik gelandet bin, gefiel ich noch. Die Blicke der Männer glitten nicht von mir ab wie die von Doktor Dupuy. Meine Mutter hat recht, ich muss mich zusammenreißen. Ich brauche ja nur zu lügen, zu behaupten, ich sei fünf Jahre jünger, und meine Flunkerei mit Botox zu unterfüttern.
    Sie tastete in ihrer Handtasche nach der Puderdose und öffnete sie, um sich im Spiegel zu betrachten. Sie sah zwei riesige, ernste Flecken, die sie anschauten. Meine Augen! Meine Augen sind mir geblieben! Solange ich meine Augen habe, bin ich gerettet! Augen altern nicht.
    »Ach, tut das gut, wieder draußen zu sein!«, sagte Iris mit neuer Zuversicht, nachdem sie ihre Schönheit wiedergefunden hatte.
    Dann richtete sie ihren Blick erneut auf die verregnete Straße und rief: »Meine Güte, ist das hässlich! Wie können die Leute bloß in solchen Käfigen hausen? Jetzt verstehe ich, warum sie sie anzünden. Man steckt Menschen in solche Hasenställe und wundert sich dann darüber, dass sie zornig werden …«
    »Denk gut nach. Wenn du nicht in einem dieser Hochhäuser enden willst, solltest du schleunigst wieder auf die Beine kommen und deinen Mann zurückerobern. Sonst bleibt dir bald nichts anderes übrig, als die verborgenen Reize der Vorstädte kennenzulernen …«
    Iris lächelte matt. Sie antwortete nicht und ließ sich gegen die Scheibe sinken.
    Das hat ihr nicht gefallen, dachte Henriette, während sie das verstockte Profil ihrer älteren Tochter musterte. Jedes Mal, wenn Iris mit einer unerfreulichen Tatsache konfrontiert wird, versucht sie sie zu umgehen. Niemals tritt sie ihr entgegen. Stattdessen träumt sie sich irgendwo anders hin. Durch einen Wink mit dem Zauberstab, der alle Probleme löst, alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumt, versetzt sie sich in eine ideale Welt. Eine kuschelige, anheimelnde Welt, in der sie keinen Finger zu rühren braucht. Bedenkenlos würde sie jedem dahergelaufenen Scharlatan vertrauen, der ihr ein himmelhochjauchzendes Glück verspricht, das ohne jede Anstrengung daherkommt. Würde sich jedem Herrn beugen, der sie glücklich macht: Botox oder Gott. Sie wäre bereit, den Schleier zu nehmen und sich hinter Klostermauern zurückzuziehen, um bloß nicht kämpfen zu müssen. Alle glauben, sie sei so stark, dabei halten sie nur billige Träumereien aufrecht. Alles ist besser, als sich die Hände an der Realität schmutzig zu machen. Aber ihr wird nichts anderes übrig bleiben, als sich endlich aufzuraffen. Philippe wird sich nicht so leicht zurückerobern lassen. Was für ein merkwürdiges Mädchen. Sie streift einen mit ihrem strahlenden Lächeln, lässt ihren tiefblauen Blick über einen gleiten, ohne wirklich hinzusehen. Weder aus ihrem Lächeln noch aus ihrem Blick spricht die geringste Wärme, das geringste Interesse. Im Gegenteil, sie faltet sie auf wie zwei schützende Schirme. Und trotzdem erliegen alle ihrem Charme: Sie ist so unglaublich schön! Kaum zu fassen, dass ich von meiner Tochter rede! Man könnte meinen, ich wäre in sie verliebt. So wie diese Carmen, die zu Hause auf sie wartet. Wie auch immer, ich jedenfalls werde das Taxi nicht bezahlen. Diese Fahrt kostet ja ein Vermögen!
    Wie wird mein Leben von nun an aussehen?, fragte sich Iris, während sie mit einer Fingerspitze die beschlagene Scheibe frei wischte. Ich werde wohl oder übel ausgehen und mich den anderen stellen müssen. Diesen nach Klatsch und Tratsch gierenden Biestern, die sich in den vergangenen Monaten das Maul über mich zerrissen haben. Sie hörte ihr boshaftes Geflüster: Die schöne Iris Dupin verkümmert in einer Klinik vor den Toren von Paris. Sie seufzte. Ich muss ihr Geschwätz unbedingt entkräften. Ich brauche ein trojanisches Pferd, das mich wieder in diese grausame, unerbittliche gute Gesellschaft hineinbringt.

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