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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nächsten Jahr werden die Opritschniki zu Tausenden durch das Land reiten und jeden vernichten, der nicht im Sinne des Zaren lebt. Iwans Freund, Fürst Skuratow, wird die Führung dieser Henkerarmee übernehmen. Und die Gebiete um Moskau bis hinauf nach Wladimir, Uglitsch und Kostroma soll der junge Bojar Boris Godunow befehligen. Der Zar will Rußland in Blut tauchen.«
    »Er will die Bojaren vernichten?« fragte Xenia atemlos.
    »Völlig vernichten! Ein neuer Adel soll entstehen – aus freien Bauern, die allein vom Zaren abhängig sind und ohne Vorrechte, wie sie die Bojaren haben. Der Zar sitzt in Alexandrowskaja sloboda, starrt hinaus in den Schnee und denkt an nichts anderes mehr. Er träumt von einem Reich, in dem nur Gott und er regieren.«
    »Und warum mußt du fort aus Rußland?«
    »Ich weiß zuviel, Xenia. Ich habe Dinge miterlebt, die noch kein anderer Mensch von einem Zaren gesehen und gehört hat. Ich bin so vollständig in seiner Hand wie eine gefangene Taube. Mit einem Finger kann er mir den Hals umdrehen, und er wird es eines Tages tun. Deshalb muß ich weg.«
    »Wohin, Andrej?«
    »Über Polen nach Deutschland. Ich werde es als erster erfahren, wenn Skuratow und Godunow mit ihren Opritschniki das Land überschwemmen. Einen Tag vorher reiten wir los. Im Taumel seines nahen Sieges wird der Zar mich erst vermissen, wenn wir schon nahe an Polens Grenze sind. Er kann uns dann nicht mehr einholen.«
    »Uns?« fragte Xenia ganz leise.
    »Ja. Ich nehme dich mit, Xenia. Ich habe mit dem Metropoliten gesprochen. Er wird uns vorher trauen.«
    Sie weinte plötzlich und umklammerte ihn. »Bleib hier, Andrej! Versteck dich hier unter der Erde. Hier sucht dich niemand … Andrej, dieses fremde Deutschland! Wie kann ich leben ohne Rußland und Väterchen und Mütterchen …«
    Der Türvorhang wurde zur Seite gerissen. Massja wuchtete ins Zimmer. Sie hatte gelauscht – wie alle Mütter in dieser Lage. »Hör sie nicht an, Söhnchen! Sie ist eine Närrin! Ein schielendes Schaf! Halt den Mund, Xenia! Er ist dein Mann, und du folgst ihm, wohin er geht. Bin ich nicht auch bei deinem Vater geblieben, he? Habe ich das schöne Haus von Termjejanka nicht auch vertauscht mit dieser Höhle hier? Maria im Himmel, welch eine Jugend! Du bist seine Frau, und du gehst mit ihm – und wenn es ins ewige Eis wäre! Hinaus mit dir! Putze die Kammern!«
    Sie riß Xenia hoch, gab ihr einen Schubs und stieß sie aus der Tür. Trottau war aufgesprungen, aber Massja drückte ihn auf den Stuhl zurück. »Bleib sitzen, Söhnchen. Man muß sie grob anfassen, das macht alles leichter. Natürlich geht sie mit dir, und wir werden euch segnen und jeden Tag für euch beten. Aber eine Mutter muß fragen, immerzu fragen …«
    »Frag, Massja Fillipowna!«
    »Kannst du Xenias Krankheit ganz heilen?«
    »Ja.«
    »Sie wird lange leben? Und du wirst sie immer lieben?«
    »Mein Leben ohne sie wäre ein halbes Leben. Ich will noch vor Weihnachten nach Alexandrowskaja sloboda zurück, um den Aufbau der Opritschniki zu beobachten. Wenn Skuratow und Godunow ihre Befehle zum Töten erhalten, hole ich Xenia sofort.« Trottau stand auf und ergriff Massjas abgearbeitete Hände. »Zwei Pferde mehr sind kein Hindernis, Massja. Kommt mit uns nach Deutschland!«
    »Blattjew ohne seine Bären? Söhnchen, was redest du da! Für die Bären hat er seine Zunge hergeben müssen – er bleibt immer bei ihnen, und ich bleibe bei Igor. Wir haben hier unsere Tochter geboren, und wir schenken sie dir. Aber, Söhnchen, das vergißt du nicht: Wenn du sie unglücklich machst, wird Gott dich strafen.« Sie zog Trottau an sich, küßte ihn auf die Stirn und stieß ihn dann wieder weg.
    Trottau fiel auf die Steinbank und dachte: Gott soll mich mit Aussatz schlagen, wenn Xenia nicht glücklich wird!
    »Wann fährst du nach Alexandrowskaja sloboda zurück?« fragte Massja.
    »Zwei Tage vor dem Heiligen Fest. Ich will den Zaren mit meiner Gegenwart überraschen.«
    Trottau bereitete den Fluchtplan bis in alle Einzelheiten vor. Er kaufte vier Pferde und eine Troika. In einer Vorstadt Moskaus warteten sie in einem Stall. Die Pferdchen wurden mit dem besten Futter vollgestopft. Sie sollten ausdauernd und stark werden. Aber es schien, als seien alle Vorbereitungen vergebens.
    Mit zwei Schlitten und nur vier Reitern als Begleitung kehrte der Zar heimlich nach Moskau zurück. Im ersten Schlitten, vergraben unter dicken Pelzen, saß die Zarin neben Iwan. Sie bebte vor unterdrücktem

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