Der Leibarzt der Zarin
in einen Schneesturm zu setzen.
Fühle ich anders? dachte Trottau. Ist nicht auch mir Xenia immer gegenwärtig? Wo ich bin, denke ich an sie …
»Ich werde mit dem Zaren sprechen«, sagte er nachdenklich. »Aber ich stelle eine Bedingung, Herr.«
»Ich gebe dir tausend Rubel!«
»Kein Geld! Wir müssen Verbündete einer Verschwörung sein.«
Der Zarewitsch drehte sich um. »Gegen wen? Gegen den Zaren?«
»Ja.«
»Bist du wahnsinnig, Trottau! Mir so etwas zu gestehen!«
Trottau lachte. »Nicht um Krone oder Leben geht es. Auch ich möchte nach Moskau zurück, das ist alles. Überzeugt Ihr den Zaren, daß ich an Eurer Seite bleiben muß, bis Eure Krankheit erkannt ist. Ich werde dasselbe sagen. Das ist die ganze Verschwörung – wir müssen zusammen nach Moskau. Wir können uns gegenseitig helfen.«
»Auch eine Frau?« fragte der Zarewitsch.
»Ja.«
»Das blonde Mädchen im Garten, nicht wahr? Und das ist kein Spielzeug, das zerbricht?«
»Diese Liebe wird nie zerbrechen.«
»Und von Irina redest du wie von einem Ball, den man auffängt und wieder wegwirft.«
»Ihr seid der Zarewitsch. Mädchen wie Irina dürfen nur Blumen sein, die eine Zeitlang in Eurem Zimmer duften und dann verwelken. Die künftige Zarewna wird anders aussehen.«
»Wer denkt daran, du Trottel!« Der Zarewitsch gab Trottau einen freundschaftlichen Backenstreich. »Bleiben wir bei deinem Vergleich: Irina duftet noch in meinem Zimmer! Ich will sie wiedersehen. Und verschwören wir uns gegen den Zaren: Wir fahren zusammen nach Moskau zurück.«
Es dauerte noch sieben Tage, bis sich Iwan davon überzeugt hatte, daß die Rückkehr seines Sohnes in den Kreml notwendig war. Sieben Tage voller Angst, daß Iwans unberechenbare Launen den Zarewitsch doch noch in die Eisstürme verbannen würden oder man ihm – wie der Zar schon angedroht hatte – ein Bett über sieben Kohlenbecken bauen mußte, ›um die Kälte aus dieser Mißgeburt zu vertreiben‹.
»Was ist das bloß für ein Sohn!« klagte Iwan am siebten Tag. Er war allein mit Trottau. Die Zarin schlief noch. Sie schlief jetzt viel, aß Berge von süßen Sachen, Kuchen und Torten oder Fleisch in Sahnesoßen und trank dazu öligen, goldgelben Wein. Sie wurde voller, und ihr Gesicht verlor jetzt überhaupt nicht mehr seine sinnliche Gier. Am schlimmsten aber war das unheimliche Wachsen der Grausamkeit in ihr, die Lust zu quälen. Sie stach mit langen Nadeln nach ihren Kammerfrauen, und wenn sie aufschrien und bettelnd zu Boden fielen, trat Marja nach ihnen und zerrte sie an den Haaren wieder hoch. Dabei lachte sie mit ihrer dunklen, schwingenden Stimme, in der alle Geheimnisse der fremden orientalischen Welt lagen, aus denen Iwan sie fortgeholt hatte in den Kreml.
»Sie bringt mich um, Trottau!« jammerte Iwan ein paarmal. »Ihr Körper ist wie ein Vulkan. Ich beherrsche ihn nicht und werde ihn nie beherrschen. Ich kann die ganze Welt erobern – aber dieses verfluchte Weib bleibt unbesiegt. Hast du kein Mittel, sie zu besänftigen?«
»Nein, erhabener Zar«, sagte Trottau ehrlich. »Dagegen gibt es kein Mittel. Es hängt mit den Säften in ihrem Körper zusammen. Schon Paracelsus erkannte, daß der Mensch von seinen Säften beherrscht wird. Wir wissen, daß sie im Körper kreisen, aber wo sie herkommen, wie man sie beherrscht, ist noch ein Geheimnis. Wir sehen nur ihre Wirkungen. Der Arzt, der dieses Geheimnis zu lösen vermag, könnte jeden Menschen verändern.«
»Warum kannst du es nicht, Trottau?« Iwan stieß die Spitze seines Possochs sanft gegen Trottaus Brust. Die lange Stahlspitze drang in den Rockstoff, aber nicht einen Millimeter tiefer. »Ein Leibarzt des Zaren muß der beste Arzt der Welt sein. Pillendreher gibt es genug, und Wunden aufschneiden kann jeder Barbier. Du sagst, Marja hätte zuviele Liebessäfte?«
»Man könnte es so nennen, erhabener Zar …«
»Dann zapfe sie ihr ab!« schrie Iwan. »Gelingt dir das nicht wenigstens?«
»Nein.«
Der Zar sprang auf. »Sie ist also unheilbar in ihrer Liebeskraft … Trottau, steh mir bei! Diesen Kampf gegen Marjas Verlangen kann ich allein nicht schlagen …«
An diesem Morgen kam zu der Sorge um Marjas unbändige Lebensgier noch die Krankheit des Zarewitsch. Eine unerklärliche Krankheit, die Trottau mit den Worten umschrieb: »Es ist wie in einem Bergwerk, erhabener Zar: Man hat einen Stollen gegraben, und plötzlich hört man damit auf, und der Stollen fällt wieder zusammen. Die Seele eines Menschen ist voll von
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