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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Brink
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ihn endlich vorknöpfen kann. Aber im Ernst, ich hoffe sehr, dass ihm das Glück heute Abend zur Seite steht. Grüß ihn von mir, falls du mit ihm sprechen solltest.«
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    Am selben Nachmittag
    Auf der Suche nach seinem ehemaligen Vorgesetzten Hjalmar Påhlström irrte Roffe über die Korridore. Seit seinem Abschied vor mehreren Jahren hatte sich an seinem früheren Arbeitsplatz viel verändert.
    Es war kurz nach fünf, und die Büros leerten sich zusehends.
    Da erblickte er plötzlich ein wohlbekanntes Gesicht. »Hallo Roffe, wie geht’s dir denn? Behandeln sie dich anständig in Christiansholm? Bist du wieder in festen Händen?«
    Roffe küsste Gudrun Skog flüchtig auf die Wange.
    »Mir geht’s so lala«, sagte er. »Christiansholm ist der Traum für jeden Kriminalkommissar, und ich bin nicht wieder in festen Händen. Was ist mit dir? Immer noch verheiratet?«
    Sie seufzte.
    »Mehr verheiratet als ich kann man gar nicht sein. Also wenn Christiansholm so ein Traum ist, sollte ich dich vielleicht beerben, wenn du zum Polizeidirektor befördert wirst. Das kann doch eigentlich nicht mehr lange dauern. Schließlich habe ich keine Lust, hier ewig Kommissarin zu bleiben. Hast du Hjalle schon gesehen?«
    »Nein, aber ich habe nach ihm gesucht.«
    Gudrun nahm ihn am Arm und zog ihn auf den Korridor.
    »Komm mit, ich führ dich rum. Hjalle streitet sich mal wieder mit dem Direktor herum. Wir sind alle auf Hjalles Seite, aber du weißt ja, wie das ist. Granestam kriegt immer alles in den falschen Hals. Daran hat sich bis heute nichts geändert.«
    »Worum geht’s denn diesmal?«
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    »Um die Vorgehensweise. Hjalle will in diesem Fall äußerst behutsam vorgehen. So behutsam, wie man bei dem riesigen Aufgebot, das uns zur Verfügung steht, nur sein kann. Aber Granestam besteht natürlich auf einem Sonderkommando, und die gehen in der Regel alles andere als behutsam vor. Die Frage ist, ob es Hjalle gelingt, ihn zur Vernunft zu bringen.«
    In Gudruns Büro setzte sich Roffe auf einen Stuhl, während sie mit der Schreibtischplatte vorlieb nahm. Sie neigte den Kopf zur Seite und schaute ihn lächelnd an.
    »Du siehst aus, als würde es dir richtig gut gehen«, sagte sie nachdenklich. »Etwas fülliger bist du geworden. Kocht jemand für dich?«
    »Ich koche selbst. Deshalb nehme ich auch zu. Ich habe eben keine Hemmungen, was fette Saucen oder gute Weine betrifft, und selbst vor Desserts schrecke ich nicht zurück. Was ist mit dir? Wer sorgt für dein leibliches Wohl? Du bist immer noch genauso gertenschlank wie mit fünfundzwanzig.«
    »Ach«, seufzte sie, »Åke und ich joggen mindestens dreimal die Woche durch den Wald und nehmen niemals den Aufzug, obwohl wir im achten Stock wohnen. Wir sind Experten für gesunde Ernährung und zucken schon bei dem Gedanken zusammen, dass wir in derselben Welt leben, in der auch Sahnetorten und Chips existieren. Das ist zwar nicht immer besonders lustig, aber wir glauben nun mal an die ewige Jugend.«
    »Was habt ihr für Zukunftspläne?«, fragte Roffe.
    »Wir wollen aufs Land ziehen und uns Hühner, Hunde und Katzen anschaffen. Der soziale Druck in Stockholm ist doch unerträglich. Hier muss man ständig demonstrieren, wie erfolgreich man ist.«
    »Also wenn du es auf meine Stelle abgesehen hast, kannst du Hühner und Hunde vergessen. Um eine Katze könntest du dich gerade noch kümmern. Will Åke denn auch aufs Land?«
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    Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Er spielt wohl manchmal mit dem Gedanken, aber im Grunde bin ich mir nicht sicher, ob es für uns eine gemeinsame Zukunft gibt. Oh, da kommt Hjalle.«
    Hauptkommissar Hjalmar Påhlström, ein kurz gewachsener, schmächtiger Mann, der auf die sechzig zuging, erschien im Türrahmen. Seine schwarzen Haare waren nach wie vor frei von grauen Strähnen, hatten sich jedoch merklich gelichtet, und die Züge seines ewig sonnengebräunten Gesichts waren ein wenig eingefallen. Die dunklen Augen unter den markanten Brauen blickten so durchdringend und stechend wie eh und je, doch Roffe wusste, dass er ein zurückhaltender Mann war. Einst als Choleriker verschrien, hatten die vielen kräftezehrenden Konflikte sein Temperament spürbar abkühlen lassen, und heute war er die Friedfertigkeit selbst, vielleicht mit einem Anflug von Resignation.
    Ehe er den Mund öffnen konnte, sagte Gudrun Skog: »Ich sehe dir an, dass Granestam nicht klein beigeben will.«
    Sein heftiges Atmen verriet seine Erregung. »Ich habe mit

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