Club der Verdammten 01: Seelenhüter: Erotischer Vampirroman (German Edition)
Wege des Schicksals
Tag 1
D
er Friedhof lag tief im Wald auf einer kleinen Lichtung. Kein Sterblicher käme auf die Idee, hier nach Gräbern zu suchen. Dennoch existierten sie. Unsichtbar für fast alle Geschöpfe, von berauschender Schönheit für seine Spezies. Luka Canvey trat den letzten Schritt aus dem Dunkel der mächtigen Eichen. Sein Blick wanderte über die Seelenhüter, die gewöhnliche Wesen bei anderen Namen nannten: Pilze, Farne, Brombeersträucher …
Für Menschen waren es nur Pflanzen, die meisten ahnten nichts von der monumentalen Macht der Natur, der Sterne, des Universums, das jedem Organismus einen höheren Sinn gegeben hatte. Seelenhüter waren die Tore der Seelen zwischen Diesseits und Jenseits. Sie waren die Quelle und das Ziel des Lebens.
Luka spürte und liebte jede Seele, deren Asche ihres Körpers an diesem heiligen Ort verstreut worden war. Manche waren verblasst, standen kurz davor, endgültig in ein neues Dasein überzugehen. Andere verharrten, dass ihre Liebsten einen Weg aus der Trübsal fanden, dass sich ihr Kummer milderte, das Schicksal Güte und Milde zeigte. Luka sog die kühle klare Morgenluft ein, sank auf ein Moosbett und streichelte den samtweichen Teppich, der das Unsterbliche von Gloria und Aidan barg. Wärme und Ausgeglichenheit durchströmten seinen Geist.
Dies war der Ort, an dem sich sein Hass für seltene Minuten verflüchtigte. Hier konnte er in Erinnerungen schwelgen, sich dem Rausch des Vergessens hingeben. Ein Spiegel des Glücks, der ihn umso schlimmer in die Verdammnis schleuderte, sobald er den Ort verließ. Wie so oft versuchte er, Kontakt aufzunehmen. Er war sicher, dass es möglich war, Gloria hatte es gekonnt. Doch ihm blieb der Erfolg verwehrt.
Zähneknirschend grub er das Gesicht in die Flechten, konzentrierte sich auf die Bilder seiner Liebsten. Er tankte Energie, die er dringend benötigte, um nicht den Verstand und die Kontrolle zu verlieren.
Luka wusste nicht, wie viele Stunden vergangen waren, als er die leisen Schritte seiner Freunde am Rande der Lichtung hörte. Sie störten ihn nicht, dennoch brachten sie ihn in die Wirklichkeit zurück. Die Sonne war bereits aufgegangen, es war Zeit, aufzubrechen. Fast wie eine Marionette löste er sich von den Seelenhütern und trat Lara und den anderen entgegen. Sie umfingen sich in einer stummen Umarmung.
Luka breitete seine Schwingen aus. Mit geschlossenen Lidern ließ er sich in die Luft tragen, schrumpfte zu einem Wesen, das vereinzelt jemand als gefährlichen Raubvogel, gelegentlich als weiße Taube identifizierte. Meist blieb er den Blicken verborgen. Menschen spürten einen eiskalten Schauder oder eine angenehme warme Brise, je nachdem, welche der Mächte derzeit in ihm überwog.
Seit dem Tod von Gloria und Aidan war er einer der Letzten seiner Spezies. Obwohl der barbarische Vampir Cangoon bereits über tausend Jahre tot war, hatte er letztlich die Schlacht gewonnen. Die Vampirgattung hatte sich unkontrolliert vermehrt, die Schattenseelen, eine verwandte Spezies, auf deren reinblütige Abstammung er stolz war, sahen dem Untergang entgegen.
Hass war nunmehr der Name seines erbitterten Feindes, seit er unfreiwillig die Führungsplätze von Aidan und Gloria eingenommen hatte. Es half ihm nicht, dass er Freunde hatte, die den Fluch und sein Schicksal teilten. Luka war jedoch froh, den Schmerz zumindest zeitweise teilen zu können.
Gemächlich zog er Kreise am Himmel, beobachtete einen zotteligen Kater, der vor der Haustür des einsam gelegenen Landhauses herumschlich. Wahrscheinlich ein ausgesetzter Stubentiger, vermutete er mit einem kaum wahrnehmbaren Anflug von Mitleid. Früher hätte es ihm Freude bereitet, in das Bewusstsein des Tieres zu schlüpfen, es auf die Jagd zu begleiten und ihm zu zeigen, wie es sich eine üppige Mahlzeit besorgen konnte; stattdessen machte er sich einen Spaß daraus, durch den Geist des Streuners seine eigene Landung zu beobachten.
Er sah den mächtigen Kampfadler, schärfte den Blick, bis er die knallig gelben Augen des Greifvogels erkannte. Kleine braune Punkte zierten vereinzelt das weiße Federkleid am Bauch, das in wunderbarem Kontrast zu den dunkelbraunen Schwingen stand. Luka streckte die Flügel und flog eine zusätzliche Runde, um seine enorme Spannweite von nahezu zweieinhalb Metern zu bewundern, bevor er sich elegant auf dem ausladenden Ast einer fast fünfzehn Meter hohen Silberweide niederließ und sich verborgen von den hinabhängenden Zweigen auf die
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