Der leiseste Verdacht
Und dass er gleichzeitig versuchte, Kapital aus der Angelegenheit zu 341
schlagen, ist doch nahe liegend. Möglicherweise hatte er gehofft, irgendwo im Ausland neu anfangen zu können. Ich nehme an, dass diese Pläne ökonomisch gescheitert sind, sodass er gezwungen war, nach Stockholm zurückzukehren, um sich mehr Geld zu beschaffen.«
»Was den vermuteten Mord an Hemberg betrifft, ist Patrik Andersson also entlastet.«
»Meiner Meinung nach können wir Patrik Andersson ohnehin vernachlässigen«, sagte Roffe. »Irgendetwas sagt mir, dass Hembergs Verschwinden mit dem Mord an Marianne Wester in Verbindung steht. Vielleicht haben sie unter einer Decke gesteckt. Oder der Mörder vermutete dies zumindest. Hemberg ging auf Nummer Sicher und tauchte ab. Marianne Wester ist das nicht mehr gelungen. Möglicherweise ist sie von Enqvist oder von einem seiner Killer liquidiert worden.«
»Warum nicht von Marco Fermi?«, warf Gudrun ein.
»Fermi ist ein undurchsichtiger Typ. Er ist quasi das Bindeglied in der Kette. Wir wissen ja, dass er Kontakt zu Marianne und höchstwahrscheinlich auch zu Gisela Nordh hatte und dass er an dem Ort angestellt war, an dem die Leiche gefunden wurde. Außerdem war er der nächste Nachbar von Patrik Andersson. Hätte er kein perfektes Alibi, wäre er zweifellos der Hauptverdächtige im Mordfall Marianne Wester.«
»Er könnte natürlich auch jemanden mit dem Mord beauftragt haben, zum Beispiel Enqvist.«
»Du meinst, dass Enqvist ihm untergeordnet ist? Daran habe ich auch schon gedacht. Einiges spricht dafür. Aber was sollte er für ein Interesse haben, Andersson den Mord in die Schuhe zu schieben?«
»Keine Ahnung, schließlich kenne ich die beiden nicht, aber Gründe ließen sich bestimmt viele finden.«
342
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Fermi riskiert hätte, leichtfertig die Aufmerksamkeit auf sich und den Hof zu lenken.
Da glaube ich schon eher, dass Enqvist seine Gründe hatte, Marianne Wester aus dem Weg zu räumen, und dass Andersson sich als idealer Sündenbock anbot. Entweder hat er sie gezwungen, die beiden Briefe zu schreiben, oder er hat sie selbst verfasst. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er es war, der Andersson am fünfundzwanzigsten April nach Stockholm gelockt hat. Wenn alles nach Plan läuft, könnte sich das heute Abend noch bestätigen.«
Hjalle nickte. »Klingt überzeugend, abgesehen davon, dass Enqvist kaum an Hembergs Tod geglaubt haben dürfte und daher jederzeit befürchten musste, dass er wieder auftaucht und seine Strategie durchkreuzt. Und so ist es ja auch gekommen.«
»Das stimmt, aber er rechnete natürlich damit, dass sich Hemberg aus reinem Selbsterhaltungstrieb versteckt halten würde. Nun gut, jetzt ist Hemberg wieder aufgetaucht, und Enqvist wird sich denken: Umso besser, dann löse ich dieses Problem eben ein für alle Mal.«
»Stimmt!«, sagte Hjalle. »Nur gut, dass Enqvist zuerst mit ihm reden will. Sonst hätten wir wohl keine Chance …«
Jemand rief Hjalles Namen, und Roffe wandte sich wieder an Gudrun.
»Was habt ihr jetzt mit mir vor? Soll ich zur Hütte mitkommen oder mich hier im Hintergrund halten?«
»Du kommst mit uns«, antwortete sie. »Wir fahren mit Hjalle im selben Wagen. Stig fährt uns. Sobald wir erfahren, in welche Richtung Enqvist unterwegs ist, hängen wir uns dran, aber das kann natürlich noch eine Weile dauern.«
Hjalle hob die Hand, und alle lauschten erwartungsvoll.
Irgendetwas war geschehen. Aus einem in der Surbrunnsgata postierten Auto kam die Nachricht, Enqvist habe sein Büro verlassen und schlendere gemächlich dem Sveavägen entgegen.
343
Zwei Männer und ein Auto hätten in gebührendem Abstand die Verfolgung aufgenommen. Hjalle vermutete, dass Enqvist irgendwo etwas essen wolle. »Apropos essen«, sagte er zu Gudrun, »wo bleibt eigentlich die Pizza?«
»Ist unterwegs«, antwortete sie.
Roffe schaute sie entgeistert an. »Du isst Pizza?«
Sie lächelte verlegen. »Hjalle hat doch vorhin gesagt, der heutige Tag ist eigentlich wie Weihnachten. Also sollte man sich auch was Besonderes gönnen, findest du nicht? Ich hab dir übrigens auch eine bestellt.«
»Danke, die wird mir jetzt gut tun. Wie soll der Einsatz eigentlich ablaufen?«
»Du weißt doch, was Hjalle immer predigt: intelligente Improvisation. Kein krampfhaftes Festhalten an starren Strategien. Deshalb hält er es auch für vollkommenen Wahnsinn, bei so vielen unsicheren Faktoren wie in diesem Fall ein Sonderkommando
Weitere Kostenlose Bücher