Der leiseste Verdacht
schaute sie erstaunt an. »Ja.«
»Jetzt weiß ich, woran es mich erinnert. Haben wir was Starkes zu trinken?«
»Was meinst du mit stark?«
»Schnaps.«
Er schaute sie misstrauisch an. »Wir haben Gin.«
Sie ging ins Wohnzimmer und warf sich erschöpft aufs Sofa.
»Schenk mir ein Glas ein. Dann erzähle ich dir, was es mit der Leiche in der Jauchegrube auf sich hat.«
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Dienstag, 23. Mai
»GG möchte, dass Sie sofort zu ihm kommen!«
Das war das Erste, was Roffe von seiner Sekretärin Vera Sahlstedt hörte, als er am Morgen sein Büro betrat. Sie bemühte sich um eine mitleidige Miene, als müsse sich Roffe vor dem Polizeidirektor für einen persönlichen Fehler verantworten.
»Bemühen Sie sich nicht«, sagte Roffe. »Ich weiß, worum es geht.«
Sie lächelte verschmitzt und entgegnete geheimnisvoll: »Es könnte ja sein, dass ich auch Bescheid weiß.«
Drei Minuten später nahm Roffe gegenüber von Gösta Green Platz, der hinter einem großen und beneidenswert aufgeräumten Schreibtisch thronte. Der Polizeidirektor war glänzender Laune und wedelte mit seiner obligatorischen, aber nicht angezündeten Zigarre.
»Ich habe vor einer Stunde grünes Licht bekommen«, sagte er.
»Die Sache ist durch. Gab ja auch im Grunde keine Alternative. Im Herbst treten Sie meine Nachfolge an. Ich denke, Sie können morgen mit einer schriftlichen Bestätigung rechnen. Richten Sie sich aber darauf ein, schon eher anzufangen, denn ich habe vor, jede Minute meines Resturlaubs geltend zu machen. Ist ja schließlich das letzte Mal, dass ich Urlaub bekomme.«
Er lachte leise in sich hinein und sah sehnsuchtsvoll aus dem Fenster; dorthin, wo die Freiheit lockte. Roffe, der erst heute bemerkte, dass die Aussicht aus Greens Büro viel schöner war als die aus seinem eigenen, weil sie auf den Stadtpark hinausging, nahm die Nachricht mit gemischten Gefühlen auf.
Eigentlich hatte er lange auf sie gewartet. Schon vor zehn 427
Jahren, als er sich um die Stelle in Christiansholm bewarb, hatte er die Position des Polizeidirektors im Blick gehabt. Jetzt, da es so weit war, wurde er von leichter Nervosität gepackt. Nun gab es nur mehr eine Position, die es zu verwalten galt, bis er irgendwann in Rente ging. Green sah seiner Pensionierung freudig entgegen. Würde es ihm später genauso gehen?
Greens Blick kehrte in den Raum zurück. Offenbar vermisste er in Roffes Gesichtsausdruck die erwartete Freude, denn er fragte vorsichtig: »Ich darf doch gratulieren?«
»Aber natürlich«, antwortete Roffe und bemühte sich um eine zufriedene Miene.
»Also fangen wir am besten gleich mit den wichtigsten Dingen an«, sagte der Polizeidirektor, indem er einen mächtigen Aktenstapel auf den Tisch wuchtete. »Dies ist der vorläufige Bericht der Untersuchungskommission über die Problematik der geplanten Zusammenlegung der Verwaltungsbezirke, die in ein paar Jahren durchgeführt werden soll. Ich denke, er enthält bereits Vorschläge, wie in dieser Sache weiter zu verfahren ist.
Die betreffenden Polizeipräsidenten haben eine Kopie erhalten und werden um Stellungnahme gebeten, damit alle Gesichtspunkte berücksichtigt werden können, bevor eine endgültige Entscheidung gefällt wird. Ist zwar nicht gerade eine fesselnde Lektüre, aber es wäre von Vorteil, wenn auch Sie sich rechtzeitig zu Wort meldeten. Da Sie es sind, der mit dieser Entscheidung wird leben müssen, schlage ich vor, dass Sie auch unsere offizielle Stellungnahme ausarbeiten. Sie müssen sich natürlich sorgfältig mit der Materie befassen, aber es gibt da ein paar Detailfragen, die ich möglichst rasch mit Ihnen besprechen möchte. Können wir gleich damit anfangen?«
Roffe betrachtete schaudernd den Aktenstapel und dachte an all die Unterlagen und Dokumente, die seinen eigenen Schreibtisch überschwemmten und eigentlich keinen Aufschub duldeten. Doch andererseits war das ohnehin ein Dauerzustand und im Grunde nicht von Belang, ob er zwischendurch eine 428
Stunde mit GG redete oder nicht.
Ihre Diskussion war in vollem Gang, als Vera Sahlstedt gegen zehn anklopfte und den Kopf zu Tür hereinstreckte. Sie warf dem Polizeidirektor einen kurzen Blick zu und wandte sich dann an Roffe: »Entschuldigen Sie die Störung, aber Sie haben Besuch vom Regierungsdirektor. Ich habe den Eindruck, es ist dringend.«
Roffe war völlig perplex. In den väterlichen Ton des Polizeidirektors mischte sich ein Anflug von Neugier: »Oh, der Herr Regierangsdirektor … also das geht
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