Der leiseste Verdacht
Ausgangspunkt unseres Gesprächs zurückzukehren, ich habe gestern eine Bilanz meiner bisherigen Erkenntnisse gezogen und bin auf drei Möglichkeiten gekommen, abgesehen natürlich von der einfachsten, dass auf Knigarp aller Komplikationen zum Trotz alles in bester Ordnung ist. Übrigens hatte ich die beiden Mitarbeiter einberufen, die außer mir über Nygrens wahre Identität Bescheid wissen. Der eine ist Viktor Krans, der in direktem Kontakt zu Interpol stand, solange Nygren noch seinem Auftrag nachging.
Der Name des anderen ist Hans Sjöström. Er kümmerte sich um die praktische Umsetzung von Nygrens Identitätswechsel. Ich 431
gab ihnen eine kurze Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse, verriet ihnen jedoch nichts von meinen eigenen Schlussfolgerungen. Stattdessen fragte ich sie, was sie an meiner Stelle tun würden. Sjöström bot an, Kontakt zu Nygren aufzunehmen, um sich zu erkundigen, ob er irgendwelche Hilfe brauche oder uns nähere Informationen geben könne. Ich nahm den Vorschlag an. Wenige Stunden später teilte Sjöström mit, er habe mit Nygren gesprochen, der natürlich irritiert über die Vorfälle war, jedoch meinte, alles unter Kontrolle zu haben. Er sagte, wir sollten nichts unternehmen. Und jetzt zu den drei Möglichkeiten, von denen ich sprach. Erste Möglichkeit: Nygren hat im Herbst, möglicherweise durch den Tipp eines Maulwurfs, Besuch von einem ›Mafioso‹ bekommen, den er sich vom Hals schaffte, indem er ihn in der Jauchegrube versenkte. Möglicherweise etwas unbedacht, aber durchaus verständlich. In diesem Fall sollten wir die Angelegenheit auf sich beruhen lassen und als Unfall zu den Akten legen: Ein Unbekannter ist versehentlich in die Grube gefallen und umgekommen. Nygren deswegen vor Gericht zu stellen, würde seinen sicheren Tod bedeuten, selbst wenn er aus Mangel an Beweisen freigesprochen würde. Zweite Möglichkeit: Nygren wechselte während seines Auftrags die Seiten und gab nur vor, enttarnt worden zu sein. In diesem Fall arbeitet er weiter für die Organisation, und zwar unter dem Deckmantel, den wir ihm verschafft haben. Die dritte Möglichkeit können wir vorerst außer Acht lassen. Wie Sie sicher verstehen werden, setzt Möglichkeit Nummer eins voraus, dass sich der Maulwurf bei uns und nicht bei Interpol befindet, wie ich zuerst annahm. Der Maulwurf kann also nur ich selbst, Krans oder Sjöström sein.«
Hätte Roffe seiner spontanen Reaktion auf Roos’
Schlussfolgerung freien Lauf gelassen, wäre ihm vermutlich die Kinnlade heruntergeklappt. Doch er war ein erfahrener Polizist, der darin geübt war, sich nichts anmerken zu lassen. Daher begnügte er sich damit, die Augenbrauen zu heben und leise zu 432
sagen: »Das sind in der Tat interessante Erwägungen. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie Bengt Nygren aufsuchen wollen, um die Lage mit ihm zu besprechen?«
Roos’ schmale Lippen umspielte ein feines Lächeln. »Richtig geraten. Und ich schlage vor, dass Sie mich begleiten.
Außerdem möchte ich Sie bitten, mir einen geeigneten Wagen und vor allem zwei geeignete Beamte zur Verfügung zu stellen.«
»Sie rechnen also mit gewissen Problemen?«
»Natürlich hoffe ich, dass sich meine Befürchtungen als unberechtigt erweisen. Aber meine Hoffnung ist gering.«
»Sollen wir gleich losfahren?«
»Ja, meiner Ansicht nach sollten wir die Sache nicht weiter aufschieben.«
»Wenn Sie mir eine Viertelstunde Zeit geben, dann werde ich sehen, was ich …«
In diesem Moment klopfte es, und erneut erschien Vera an der Tür.
Da zu erwarten war, dass sie gute Gründe für ihre Störung hatte, schaute Roffe sie gespannt an, als rechne er mit weiteren sensationellen Neuigkeiten. Vera, die durch kaum etwas aus der Fassung zu bringen war, sah ausnahmsweise ein wenig angespannt aus, äußerte sich jedoch mit gewohnter Präzision:
»Katharina Ekman lässt Ihnen ausrichten, sie habe wichtige Neuigkeiten, die aller Wahrscheinlichkeit dazu beitragen würden, das Rätsel des Toten in der Jauchegrube zu lösen. Sie betonte, sie müsse Sie dringend sprechen.«
Roffes Fähigkeit, seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten, ließ ihn im Stich. Mit offenem Mund starrte er seine zuverlässige Sekretärin an, als zweifle er an ihrem Verstand.
»Ach wirklich?«, war sein scharfsinniger Kommentar.
»Sie bittet um Ihren Rückruf.«
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»Aha, hat Sie noch was gesagt?«
»Sie sagte, ich solle diese Mitteilung in meinem eigenen Interesse sofort an Sie weiterleiten,
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