Der leiseste Verdacht
fühlte, glotzte Roffe verständnislos an und knurrte: »Wie soll man seine Arbeit erledigen, wenn man nichts kann? Außerdem ist er fast nie da.«
Roffe beugte sich vor und sah Nisse durchdringend an.
»Glauben Sie, Nygren weiß, dass Marco den Eber getötet hat?«
»Natürlich weiß er das.«
»Aber wenn er das weiß, warum wird er dann nicht fuchsteufelswild und zeigt seinen Vorarbeiter bei der Polizei an?
Und wenn er die Polizei nicht einschalten will, warum schmeißt er ihn nicht hochkant raus?«
Nisse sah ängstlich aus. Sein Blick irrte durch die Küche, er rutschte unruhig hin und her.
»Nygren wollte nicht, dass ich was von dem Eber erzähle«, sagte er und wirkte plötzlich reserviert. »Ich will keinen Ärger haben.«
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PM schaltete sich beruhigend ein: »Wir haben dir doch versprochen, dass Nygren nichts von unserem Gespräch erfährt.
Wir wollen nur wissen, was Marco für ein Typ ist.«
Nisse lachte nervös auf. »Den könnt ihr gern ins Gefängnis sperren. Da gehört er auch hin.«
»Was hältst du von Annika, Marcos Frau?«, fragte PM.
Nisse kratzte sich sein stoppeliges Kinn und blickte zur Decke.
»Ich weiß nicht … um sie ist es schade.«
»Warum?«
»Er ist böse zu ihr, schimpft und schreit.«
»Das kann ich mir denken«, sagte PM.
»Noch eine Frage«, sagte Roffe, »dann werden wir Sie nicht länger belästigen. Glauben Sie, dass Nygren Marco Fermi schon kannte, als er ihn als Vorarbeiter auf seinem Hof anstellte?«
Nisse schien das für eine merkwürdige Frage zu halten.
»Woher soll ich das wissen?«, sagte er. »Aber ich kann es mir nicht vorstellen, sonst hätte sich Nygren sicher in Acht genommen.«
Roffe stand auf und streckte ihm zum Abschied die Hand entgegen. Nisse streifte unbeholfen seine Finger und starrte auf den Fußboden. PM gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken und sagte mit Wärme: »Du bist ein guter Kerl, Nisse. Die Schweine können sich glücklich schätzen, dass es dich gibt. Wollen wir hoffen, dass Nygren genug Grips hat, sich einen neuen Vorarbeiter zu suchen. Wenn du’s nicht mehr aushältst da drüben, dann komm einfach rüber zu mir auf ein Bier. Du weißt, dass du immer bei uns willkommen bist. Nein, bleib nur hier. Wir finden allein raus.«
Auf dem Weg zum Auto atmete Roffe tief durch. PM lachte.
»Hast du die ganze Zeit die Luft angehalten?«
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Roffe sah ihn erschöpft an. »Nein. Aber ich musste aufpassen, dass mir das Frühstück nicht wieder hochkommt. Dieser Speckgeruch und der übrige Gestank in der Küche …«
Sie stiegen ins Auto.
»Wie empfindlich du bist«, sagte PM. »Also ich finde den verdreckten, biestigen Nisse eigentlich ganz erfrischend. So wunderbar weit weg vom schwedischen Durchschnittsbürger.
Weißt du, was er nach Feierabend macht?«
»Deinem Ton kann ich entnehmen, dass er sich nicht vor den Fernseher setzt.«
»Stimmt, er hat gar keinen Fernseher. Aber im Zimmer hinter der Küche, in das er eigentlich niemanden reinlässt, außer mich einmal, steht ein altes Harmonium, das er von seinem Vater geerbt hat. Auf dem spielt er, bis es an der Zeit ist, ins Bett zu gehen. Und er besitzt wirklich ein unerschöpfliches Repertoire.«
»Was spielt er denn?«
»Jede Menge Gesangsstücke, die er von seinem Vater gelernt hat. Dann haufenweise Schlager aus den zwanziger und dreißiger Jahren, Operettenthemen und Music-Hall-Melodien, und Samstagabend, wenn er einen im Tee hat, sogar ein paar Jazz-Standards. Vor ein paar Jahren hat er mich mal zu sich nach Hause eingeladen und ein kleines Konzert gegeben. Ich kann dir sagen, das war ein Erlebnis! Nisse war wie ausgewechselt. Wenn er spielt, ist er glücklich; sein Verdruss fließt wie Wasser von ihm ab, und er beginnt zu strahlen. Er spielt wirklich gut.«
Roffe ließ den Motor an. Langsam rollten sie durch die menschenleeren Straßen.
»Verdammter Mist!«, fluchte Roffe. »Hier stinkt’s.
Wahrscheinlich hängt der Gestank immer noch in unseren Klamotten. Warum wäscht er sich eigentlich nie. Ist er wasserscheu?«
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»Nenn mir einen vernünftigen Grund, warum er das tun sollte«, entgegnete PM. »Er hat doch nur mit Schweinen zu tun, und die werden sich nicht beklagen. Jetzt hör auf, so empfindlich zu sein, und sag mir lieber, wie du ihn findest.
Hältst du ihn für glaubwürdig?«
»Schwer zu sagen. Ich glaube, er ist ein grundehrlicher Kerl.
Andererseits werden seine Aussagen stark von seiner Voreingenommenheit beeinflusst. Was natürlich
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